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Kein Platz für Industrie

Von Elisabeth Gamperl

Politik

Wiens Industrie schrumpft seit Jahren. Große Betriebe ziehen ins Umland. Mit einem Fünf-Punkte-Plan appelliert Wiens Wirtschaftskammer nun an die Stadtregierung, diesem Trend ein Ende zu setzen.


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Wien. Die Schwedenbombe von Niemetz ist keine Wienerin mehr. Die Tresore von Wertheim sind es auch nicht mehr. Beide Unternehmen verlagerten vergangenes Jahr ihren Firmensitz von der Bundeshauptstadt ins Umland. Wiener Traditionsbetriebe - das waren sie einmal. Nun sind sie Niederösterreicher. Nicht nur die beiden prominenten Hersteller kehrten Wien den Rücken. Seit Jahren schrumpft die Industrie in der Bundeshauptstadt: So sind laut Wirtschaftskammer Wien in den vergangenen 20 Jahren 21 Prozent der Industriebetriebsflächen verloren gegangen. Mit ihnen schwinden die Arbeitsplätze, die dringend gebraucht werden, denn die Zahl der Wiener steigt rasant an: 2025 wird die zwei Millionen-Bevölkerungs-Marke erreicht.

Wien müsste deshalb unternehmerfreundlicher agieren und sich - dem internationalem Trend folgend - zu einem Hochtechnologiestandort wandeln. Das fordert die Wiener Wirtschaftskammer (WKW) und präsentierte passend dazu einen Fünf-Punkte-Themenplan. Der Themenplan schlüsselt sich in die Bereiche Standort, Technologie, Energie, Bildung und Steuern auf. Die Themen sind äußerst vielfältig: Auf der Wunschliste ist ebenso der Ausbau der Wiener Exportförderung zu finden als auch eine Anpassung der Gebühren und eine Technische Universität (TU), die nach Vorbild des modernen WU-Campus’ zu einer Denkfabrik für Start-ups und Forschung auszubauen wäre.

200.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel

Die Punkte wurde mit Unternehmern in Workshops erarbeitet und sollen als Anlass genommen werden, um die Rahmenbedingungen für Wiens Betriebe zu ändern, "bevor es zu spät ist", wie es der Spartenobmann Industrie, Stefan Ehrlich-Adám, formuliert. Ehrlich-Adám ist CEO der EVVA Sicherheitstechnologie-GmbH, natürlich mit Standort Wien. 200.000 Arbeitsplätze würden sonst auf dem Spiel stehen.

Der Themenplan ist an die neue, alte rot-grüne Wiener Stadtregierung gerichtet. Die Wirtschaftskammer erhofft sich in der neuen Legislaturperiode von SPÖ und Grünen mehr Maßnahmen für die Industrie. Denn bislang fühlte man sich anscheinend stiefmütterlich behandelt. Laut Ehrlich-Adám hat sich Rot-Grün zu sehr auf Wohnprojekte fokussiert und dabei zu wenig um die Industrie kümmert. Er spricht von "Belastungspolitik" für die Unternehmen und wirft der Politik überbordende Bürokratie vor.

Magistrate sollen beraten, nicht strafen. 560 Landesgesetze und Verordnungen gebe es in Wien, sagt Ulrike Baumgartner-Gabitzer, stellvertretende Obfrau der Sparte Industrie und Vorstands-Vorsitzende von Austria Power Grid. Das sei zu viel. "Die Unternehmen werden damit zugeschüttet", sagt sie.

Doch gerade im Bereich Entbürokratisierung soll sich in der kommenden Legislaturperiode von Rot-Grün etwas tun. "Wir überprüfen gerade sämtliche Gebühren und Abgaben daraufhin, ob sie noch zeitgemäß, notwendig und treffsicher sind", sagt Ferdinand Pay, Sprecher von Finanz- und Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner (SPÖ). Außerdem werde laut Pay seit Jahren etwas getan, um Verfahren und Abwicklungen zu vereinfachen, verteidigt sich der Sprecher. So wurden etwa 2014 die Betriebsanlagenverfahren in vier Kompetenzzentren zusammengefasst - davor wurde es in 19 Magistraten abgewickelt.

Wien wurde zum IT- und High-Tech-Industriestandort

Vonseiten der Wirtschaftskammer wird betont, dass sich der gesamte Arbeitsbereich der Industrie gerade verändert. Die meisten Menschen arbeiten nicht mehr vor der Maschine am Fließband, sondern dahinter. Sie bedienen sie. Die Digitalisierung der Arbeitsabläufe ist voll im Gange. In Zukunft werden Roboter gewisse Arbeiten übernehmen. "Es stellt sich nicht die Frage, ob wir diese gesellschaftliche Entwicklung gut finden oder nicht - sie passiert gerade", sagt Ehrlich-Adám, "deshalb geht es darum, für diese Entwicklungen Maßnahmen zu setzen."

Die Jungen wissen zu wenig

Diese Maßnahmen fangen bei den Jungen an. Junge Menschen sollen frühzeitig an die Themen Wirtschaft und naturwissenschaftliche Fächer herangeführt werden - besonders auch Frauen, die laut Wirtschaftskammer nach wie vor fehlen. Nur damit könne man einem Fachkräftemangel entgegensteuern, sagt Ehrlich-Adám. Alleine 2015 konnten 23 Prozent der Wiener Lehrbetriebe ihre offenen Lehrstellen nicht besetzen. Lehrstellen sind laut dem Spartenobmann für Industrie zu unattraktiv. Außerdem sollte schon in der Schule Wirtschaft Platz gegeben werden. "Das wirtschaftliche Wissen der Jungen ist oft katastrophal", sagt Ehrlich-Adám.

Im Gegensatz zur WKW Industrie sieht die Stadt Wien den Standort Wien als attraktiv. 159 neue Unternehmen seien aus dem Ausland nach Wien gesiedelt, heißt es aus dem Büro von Stadträtin Brauner - im gleichen Zeitraum hatte Niederösterreich nur 20 Ansiedelungen.

Worüber sich die Stadt Wien und die WKW jedoch einig sind, ist der Platzmangel in Wien. Ein Umstand der durch das Bevölkerungswachstum verstärkt wird. Im Regierungsübereinkommen wurde festgeschrieben, dass die Industrie in den kommenden Jahren mehr Platz bekommen soll. In Wien soll man nicht nur wohnen, sondern auch werkeln. Wie man diesen Platz allerdings schaffen will, bleibt abzuwarten.