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"Kein Platz für Protestbewegungen"

Von Konstanze Walther

Politik

Portugal wählt: Die starke radikale Linke hat Anti-Sparkurs-Demos nicht genützt, wird aber Königsmacher sein.


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Diesen Sonntag wird in Portugal ein neues Parlament gewählt. Derzeit wird das Land von einer konservativen Koalition unter Premierminister Pedro Passos Coelho und dessen Partei PSD regiert. Unter Passos Coelhos Amtszeit fällt die sogenannte wirtschaftliche Erholung, Portugal ist nicht länger unter dem EU-Rettungsschirm, sondern selbstständig auf dem Kapitalmarkt unterwegs und wird von den Troika-Institutionen - dem Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission - gelobt. Passos Coelhos PSD tritt bei der Wahl gleich im Bündnis mit seinem Koalitionspartner, mit den ebenfalls konservativen CDS an, unter dem Namen "Portugal a Frente/Portugal Vorwärts".

Der Gegner: de größte Oppositionspartei, die Sozialisten, die auch die Vorgängerregierung gestellt hatten. Deren ehemaliger Premier, José Sócrates, war in der Zwischenzeit fast ein Jahr im Gefängnis und ist heute wegen Steuerbetrug, Geldwäsche und Korruption unter Hausarrest.

Die "Wiener Zeitung" nahm die Wahl zum Anlass, um mit Manuel Loff, Professor an der Universität in Porto, über die portugiesische Politiklandschaft zu sprechen.

"Wiener Zeitung": EU-weit gilt Portugal als Musterland: Es hat das Austeritätsprogramm ohne viel Murren umgesetzt und steht nicht mehr unter dem Rettungsschirm. Und die konservative Regierung führt trotz der Sparmaßnahmen noch immer in den Umfragen.

Manuel Loff: Es stimmt, die Regierungskoalition führt, relativ gesehen. Aber laut Umfragen wird sie ein Drittel ihrer Stimmen verlieren. Sie wird fix die absolute Mehrheit verlieren. Die Frage ist nur, ob sie mehr Wähler als Bündnis bekommen wird als die Sozialisten alleine.

In vielen Ländern des Südens, in denen Austeritätsprogramme umgesetzt worden sind, haben sich linke Protestbewegungen gebildet, die inzwischen die Wahlen deutlich beeinflussen, wie etwa Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland oder die 5-Sterne in Italien. In Portugal scheint es nicht zu einer solchen Bewegung gekommen zu sein. Wie erklären Sie sich das?

Wir haben historisch gesehen seit der demokratischen Revolution von 1975 schon immer eine starke radikale Linke, den dritten Wählerblock. Diese Kräfte haben sich nun in der "Demokratischen Einheitskoaltion" (CDU) zusammengeschlossen: die Kommunisten mit den Grünen. In den vergangenen 15 Jahren ist als ebenfalls linke Partei noch der "Linksblock" (Bloco de Esquerda - BE) dazugekommen. Diese zwei radikal linken Parteien werden auf 18 bis 20 Prozent der Wählerstimmen kommen. Die Sozialisten nur auf 35 Prozent. Also stimmt mehr als ein Drittel der linken Wählerschicht in Portugal links von den Sozialisten.

Aber es gab in Portugal massive Proteste gegen die Sparpakete . . .

Wir hatten zwar am Anfang der konservativen Regierungsperiode Proteste, im Zuge derer neue soziale Bewegungen entstanden sind, aber sie haben schnell ihren Biss verloren und konnten schließlich abseits der Gewerkschaften und der radikal Linken niemanden mehr mobilisieren. Die Demonstrationen und Streiks in den Jahren 2013 und 2014 sind schon nur mehr von den Gewerkschaften organisiert worden. Für diese Art der Protest-Bewegungen gibt es nicht genug Platz in der Gesellschaft. Wir haben eben schon traditionell eine starke, radikale Linke. Unsere Kommunistische Partei ist wahrscheinlich die stimmenstärkste in Westeuropa. Zusammen mit den Grünen bekommen sie 10 bis 12 Prozent. Die andere Partei "Linksblock", in der sich Arbeitsrechtsaktivisten mit jungen Linken zusammengeschlossen haben, beschäftigt sich vor allem mit sozialen Themen wie Abtreibung, Homo-Ehe, typische linke Agenden des 21. Jahrhunderts. Und diese beiden Parteien haben es geschafft, sich im Rahmen der neuen sozialen Bewegungen zu behaupten. In Griechenland hat der Aufstieg der Syriza-Bewegung andere linke Parteien kannibalisiert. In Portugal haben es die linken Parteien geschafft, die neuen sozialen Bewegungen zum Teil anzuführen, aber sie haben es nicht geschafft, ihre Stimmen deutlich auszubauen.

Das bedeutet, wir haben jetzt ein altes politisches System. Zwei Drittel bis 75 Prozent der Wähler werden wieder eine der traditionellen Volksparteien wählen, entweder das konservative Bündnis oder die Sozialisten. Aber niemand von denen wird eine absolute Mehrheit bekommen. Das ist eines der Symptome der Krise im politischen System. Aber links davon hat sich keine Alternative für eine Regierung aufgebaut.

Wenn die Sozialisten gewinnen, würden sie eine Koalition mit den Kommunisten/Grünen, dem CDU-Bündnis, eingehen?

Definitiv nicht. Das haben sie noch nie in ihrer Geschichte gemacht. Dazu muss man unsere Geschichte verstehen. In dem demokratischen Übergang nach der Revolution (die Nelkenrevolution, der linksgerichtete Aufstand gegen die rechte Militärdiktatur fand 1975 statt, Anm.) haben besonders die Sozialisten versucht, sich von den Kommunisten, den Maoisten, ganz stark abzugrenzen. Denn viele Menschen hatten nach der Revolution Angst, dass Portugal in ein kommunistisches Land umgewandelt werden könnte. Das war zu Zeiten des Kalten Kriegs. Mit dem "Linksblock" gibt es zwar eine andere linke Partei, die um die 7 oder 8 Prozent bekommen wird. Mit denen hätten die Sozialisten wahrscheinlich kein Problem, allerdings bekommen sie mit ihnen auch nicht die absolute Mehrheit.

Man muss aber erwähnen, dass unsere Sozialisten extrem moderat sozialdemokratisch sind. Auch wenn Sozialdemokraten in ganz Europa derzeit moderat sind und mehr oder weniger die Austeritätskurse unterstützen, unsere Sozialisten sind mehr rechts als die spanischen. Das bedeutet, dass sie sich schwer täten, einen Konsens mit den radikal Linken zu finden.

Alle politischen Kommentatoren gehen derzeit davon aus, dass das Wahlergebnis folgendermaßen aussieht: Das konservative Bündnis bekommt mehr Stimmen als die Sozialisten, kann aber nicht regieren, weil es keine Mehrheit findet. Der Rest des Parlaments wird links dominiert und eine konservative Regierung nicht unterstützen. Deswegen werden die Sozialisten gebeten werden, eine Minderheitsregierung zu bilden. Sie werden dann in wirtschaftlichen Fragen von den Konservativen unterstützt, da haben sie ohnedies eine große Schnittmenge, und bei anderen Fragen werden sie von den Linken toleriert. Das ist das wahrscheinlichste Szenario. Denn die Konservativen finden über ihre Wählerschaft hinaus niemanden mehr, der sie unterstützt. Dazu ist unserer Gesellschaft inzwischen zu verärgert und polarisiert.

Welche Themen dominieren den Wahlkampf?

Wirtschaft, Migration und Korruption, wobei Korruption weniger dominiert als gedacht. Das konservative Bündnis und die Sozialisten haben da eine Art Gentleman’s Agreement, dass diese Skandale nicht erwähnt werden. Die Sozialisten hatten den inhaftierten Sócrates in ihren Reihen, aber die Konservativen stehen bei den Skandalen um wenig oder nichts nach. Auch der jetzige Premierminister Passos Coelho hat laut Presseberichten vor fünfzehn Jahren in Scheinfirmen gearbeitet. Und unsere radikaleren Oppositionsparteien, die Kommunisten und die Grünen, sind diesbezüglich sehr zivilisiert: Sie sagen nur, dass sie der Justiz bei ihren Ermittlungen vertrauen. Sie erklären nur, dass sie grundsätzlich Korruption bekämpfen, aber sie nennen die Akteure nicht beim Namen. Denn in Portugal hat sich gezeigt, wenn man ständig jemanden beim Namen nennt, gibt es einen gewissen Hang, diese Person dann als verfolgtes Opfer zu sehen und erst recht zu wählen.

Es gibt inzwischen eine neue Partei, die "Republikanischen Demokraten" - übrigens, wie ich finde, der faulste Name der ganzen Welt: einfach die zwei Namen der großen US-Parteien kombiniert. Diese Partei positioniert sich als reine Anti-Korruptionspartei. Und nicht einmal die erwähnen den Namen Sócrates.

Der Wahlkampf wird ohne Zweifel von der Wirtschaft dominiert. Es gibt einen Grundkonsens über alle Parteien hinweg, dass wir noch immer unter Protektorat stehen, dass alles permanent im Ausland analysiert wird. Dass wir keine Budgethoheit haben. Und da finden sich wieder die drei Blöcke: Die Konservativen, die sagen, wir müssen beim Euro bleiben und alle Vorgaben erfüllen. Die radikal Linken, die nicht notwendigerweise aus dem Euro hinauswollen, aber für ein Plan-B-Szenario plädieren und die Schulden neu verhandeln wollen. Und dann die Sozialisten, die etwas schwammig von einem "intelligenten Zugang zu den europäischen Verträgen" reden. Schließlich hat Sócrates in der Vorgängerregierung das Sparprogramm mit Brüssel unterschrieben. Also das eigentliche Programm kann nicht offen angezweifelt werden. Aber jetzt ist der Konsens, dass die Konservativen nicht nur extrem willfährig die Brüsseler Vorgaben umgesetzt haben, sondern auch übers Ziel hinausgeschossen haben: Sie haben etwa den Schienenverkehr privatisiert, sie haben den Privatisierungsprozess der Air Portugal vor kurzem eingeleitet - und das alles freiwillig, das steht in keinem der Troika-Abkommen!

Migration ist eine Konsequenz aus der Wirtschaftsproblematik. Niemals, nicht einmal während der Kolonialkriege in den 60er, 70er Jahren, hatte Portugal eine derartige Auswanderungswelle wie jetzt erlebt. Wir sind ein 10-Millionen-Einwohner-Land, aus dem jährlich 100.000 bis 150.000 junge Menschen auswandern. Das ist extrem deprimierend. Unglaublich viele meiner Studenten sind schon ausgewandert. Ich wünschte, sie würden wenigstens wegen irgendwelcher Stipendien das Land verlassen, aber sie wandern aus, um in Coffeeshops und Transportfirmen zu arbeiten.

Manuel Loff ist Assistenzprofessor für politische Geschichte an der Universität Porto. Er schreibt alle zwei Woche eine Kolumne in Público, einer führenden portugiesischen Zeitung.