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Kein Platz für Whistleblower

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Aufklärung ist heute nicht mehr die Erfahrung einer positiven, sondern einer negativen Vision. Sie ist keine Utopie, sondern eine Dystopie.


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Edward Snowdens Asyl in Russland läuft demnächst aus. Edward Snowden - das ist jener junge Mann, dessen Enthüllungen zu den Überwachungsaktivitäten der amerikanischen NSA unser aller Verhältnis zum Internet mit einem Schlag radikal verändert hat: Aus einem "Netz der Verheißungen" wurde es zu einem "Überwachungsnetz" - wie das kürzlich bei einer Konferenz für Webenthusiasten in Düsseldorf genannt wurde. Edward Snowden verkörpert diese Wende. Seine Enthüllungen spalten das Netz in eine Ante- und eine Post-Snowden-Ära.

Wenn nun Snowdens Asyl ausläuft, wenn sich wieder, wie vor einem Jahr, die Frage stellt: Wohin geht er nun? - dann taucht damit wieder die Erfahrung auf, dass es keinen Ort auf der Welt für ihn zu geben scheint.

Russland - was war das für ein absurdes Asyl!

Russland, das Freiheitsparadies,
hat mit dem Asyl für Snowden nur ein weiteres Steinchen in seine Feinderklärung an die USA, an den Westen hinzugefügt. Ein paradoxes Steinchen - ist Snowden doch der Inbegriff genau jener Werte, denen Russland den Kampf ansagt. Die Russen gewährten nicht dem Aufklärer Asyl, sondern dem Feind ihres Feindes.

Wobei es ja eine Frage der Perspektive ist, ob Snowden ein Feind der USA, ein Feind des Westens ist - oder ob er nicht vielmehr deren zentrale Werte vertritt.

Für die Mächtigen waren Menschen wie Snowden immer Verbrecher - das ist auch in Barack Obamas USA nicht anders. Für die anderen aber ist ein Whistleblower das Gegenteil davon. Ein Begriff übrigens, für den es keine positive deutsche Übersetzung gibt, der sich nur umschreiben lässt: ein Arbeiter an der Aufklärung von Unterdrückung, Desinformation und Überwachung.

Und in diesem Zusammenhang wird die Frage nach dem Asyl hoch symbolisch: Kein Ort für Snowden bedeutet: kein Ort für Aufklärer. Für diese gibt es nur Nicht-Orte. Auf seiner Flucht vor einem Jahr irrte er durch die Welt, die sich ihm ganz verschlossen hatte.

Und so strandete er für mehrere Wochen im Transitbereich des Moskauer Flughafens. Er kampierte da, in diesem Niemandsland - ausgeschlossen von allen gesellschaftlichen Orten. So wie auch der Wikileaks Gründer Julian Assange seit zwei Jahren in der winzigen, ecuadorianischen Botschaft in London ausharrt. Ohne das Haus zu verlassen.

Als Symbol, als Metapher bedeutet das: Dissidenz, Aufklärung hat heute keinen Ort, keinen gesellschaftlichen Platz. Sie muss sich exterritorial machen, wenn sie sich äußert. Aufklärung ist heute nicht mehr die Erfahrung einer positiven, sondern einer negativen Vision. Sie ist keine Utopie, sondern eine Dystopie.

Eine Erfahrung, die auch zeigt, dass es bei Aufklärung nicht einfach um Wissen geht. Wissen alleine reicht nicht aus. Man wusste schon vorher von der NSA.

Nicht Transparenz und Wahrheit macht einen wirklichen politischen Unterschied, sondern erst der Umstand, "dass Leute es wagen, diese Wahrheit auszusprechen", so der Politologe Ivan Krastev.

Eigensinn nannte man das früher. Dass darin tatsächlich ein Wagnis liegt, belegt Snowdens Schicksal nur allzu deutlich.