Gesetzentwurf ist umstritten und dürfte kaum Zustimmung der EU finden. | Brüssel. Belgien will sich gegen den Ansturm französischer Studenten auf medizinische Studienfächer wehren. Die Regierung der französischsprachigen Gemeinschaft plant Zugangsbeschränkungen.
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Bis zu 80 Prozent der Studienplätze in medizinischen Fächern werden im französischsprachigen Teil Belgiens von Franzosen belegt. Die für höhere Bildung in der zuständige Regionalministerin Marie-Dominique Simonet will das ändern. Sie hat jetzt einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der den Anteil von nicht-belgischen Studenten auf höchstens 30 Prozent beschränken soll. "Die ausländischen Studenten profitieren von unserem System und gehen danach wieder zurück in ihr Heimatland. Bei uns fehlt der Nachwuchs", sagt die Ministerin zur Begründung.
Besonders betroffen ist die Tiermedizin. Nur knappe 14 Prozent der Absolventen sind Belgier. Ähnliche Zahlen vermelden die sogenannten paramedizinischen Berufe, zum Beispiel Physiotherapie, Logopädie oder Hebamme. Anders als in den deutschsprachigen Ländern ist dafür in Belgien und Frankreich ein Studium notwendig.
Kein Aufnahmetest
Der Grund für den starken Zuspruch aus dem Nachbarland liegt in den sehr strengen französischen Zugangsvoraussetzungen. Physiotherapeuten müssen zum Beispiel den gleichen Aufnahmetest bestehen wie Vollmediziner. "Bei uns dagegen gibt es keine Auswahlverfahren. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Das gefällt den Franzosen", sagt Philipp Meeus, Direktor der medizinischen Hochschule Henri Spaak in Brüssel. Bei ihm an der Schule sind nur rund zehn Prozent der insgesamt 600 Studenten Belgier. "Wir fühlen uns manchmal benachteiligt, weil die Franzosen einfach so zahlreich sind", sagt einer der wenigen belgischen Schüler. Im vergangenen Jahr haben sich an Meeus' Hochschule über 1600 Franzosen um einen Studienplatz beworben, aber nur 60 Belgier. Solche Proportionen sollen nach dem Willen der belgischen Regierung schon ab dem kommenden Universitätsjahr, das im September beginnt, nicht mehr möglich sein.
Aber der Vorschlag der Bildungsministerin stösst nicht nur auf Zustimmung. In Frankreich befürchtet man in manchen Berufen, dass plötzlich der Nachwuchs fehlen könnte. Jeder dritte in Frankreich praktizierende Tierarzt hat sein Diplom in Belgien erworben. Und auch in Belgien selbst wird Kritik geübt: Viele Hochschulen werden ohne die Studenten aus Frankreich ihr Angebot nicht so wie bisher weiter führen können. Einige Direktoren rechnen bereits mit einem Abbau von Lehrpersonal.
Studenten bringen Geld
Und auch in den Städten, wo die französischen Studenten auf Zeit zu Hause sind, gibt es Bedenken. In Tournai zum Beispiel, einem kleinen Städtchen gleich hinter der französischen Grenze, lebt die Hochschule für Physiotherapie von den Franzosen. Und die mieten auch Wohnungen, bringen Geld in die Stadt. "Das alles wird dann plötzlich wegbrechen", befürchtet Hubert Remy, Direktor der Hochschule. Das Gesetz muss nun vom Parlament verabschiedet werden. Doch auch die EU dürfte noch ein Wort mitzureden haben. Ob sie die neue Regelung ausgerechnet an ihrem Sitz in Brüssel gut heissen wird, ist - siehe Beispiel Österreich - mehr als fraglich.