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"Kein politischer Herbstauftakt"

Von Eva Stanzl

Wissen
Franz Fischler: "Wir müssen wirklich europäisch denken."

Diskussionsveranstaltung für Denker und Kultur, weniger politisches Kleingeld.


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"Wiener Zeitung": Anlässlich Ihrer Wahl zum Präsidenten des Forum Alpbach im März haben Sie betont: "Alpbach ist der Ort, an dem Lösungsansätze für die großen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt werden sollen." Welche halten Sie für die größten Herausforderungen, die im Tiroler Bergdorf im August unter die Lupe genommen werden sollen?Franz Fischler: Zu den großen Themen im Zusammenhang mit Alpbach zählt zum einen die Frage, wie es mit und in Europa weitergeht. Es geht mir dabei darum, nicht nur nach innen zu sehen, sondern auch zu diskutieren, wie die Welt Europa sieht und welche Rollen wir spielen können. Das zweite Thema ist die Demokratie und die Demokratieentwicklung, und das dritte das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell der Zukunft: Was bedeutet die Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung und wie setzt man sie um?

hrlich besuchen 900 Studenten über Stipendien die Alpbach-Akademie. Doch die Struktur des Forums ist seit Jahren gleich. Könnte die Veranstaltung selbst eine Verjüngungskur gebrauchen?

Das Forum hat Stärken und Schwächen. Die jungen Leute sind eine seiner großen Stärken, das Forum soll weiterhin ein junges Gesicht haben. Die Seminarwoche ist ein Alleinstellungsmerkmal. Keine Veranstaltung dieser Art bezieht die Studenten so unmittelbar ein wie wir. Darauf setze ich weiter. Schwächen sehe ich in der Tatsache, dass junge Führungskräfte zwischen 30 und 45 Jahren zu wenig vertreten sind. Wir müssen nachdenken, was wir ihnen bieten können, damit sie kommen.

In den nächsten Monaten bereiten wir das Forum für 2013 vor. Wie werden Überlegungen anstellen, wie wir dem Ziel der Veranstaltung noch stärker gerecht werden können. Bereits fix ist, dass der Eröffnungstag, genannt Tirol Tag, ein neues Format bekommt. Er wird von der gesamten Europaregion Tirol getragen und alle drei Landeshauptleute von Tirol, Südtirol und der Provinz Trient werden anwesend sein, ebenso wie Top-Wissenschafter aus den drei Regionen. Als das Forum im Jahr 1945 begonnen wurde, haben außerdem junge Künstler eine prägende Rolle gespielt. Das ist ein bisschen verloren gegangen, und ich möchte es wieder stärken.

Was sagen Sie zu der Kritik, dass Alpbach zunehmend eine politische Bühne und immer weniger ein Ort des intellektuellen Austauschs geworden ist?

Die Teilnehmerzahl steigt jedes Jahr, heuer werden wir voraussichtlich sechs Nobelpreisträger haben. Auch EU-Präsident Jose Manuel Barroso hat fix zugesagt, sowie eine Reihe von Regierungschefs. In den letzten Jahren hat es sich allerdings ein bisschen eingebürgert, dass der eine oder andere Minister geglaubt hat, er kann in Alpbach seinen politischen Herbstauftakt veranstalten. Das ist etwas, was nicht in meinem Sinne ist und wovon wir versuchen werden, wieder wegzukommen. Wir müssen wirklich europäisch denken.

Welche Themen halten Sie für die wichtigsten in der Wissenschaft?

Alles, was sich um die Frage Klimawandel dreht, liegt auf der Hand. Ein zweites Thema ist die wissenschaftliche Sicht auf brennende soziale Fragen. Auch Österreich hat kein Konzept, wie es mit der Überalterung umgehen will. Unser kapitalistisches System erzeugt zudem einen wachsenden Anteil von Menschen, die aus den Sozialsystemen herausfallen. Zudem ist die Frage der Integration noch nicht so beantwortet, dass man damit zufrieden sein könnte.

Andere Themen in Wissenschaft und Forschung gehen mehr in Richtung Ethik. Es gibt gerade in der Medizinethik schwerwiegende Fragestellungen, die rasch zur Frage der gesellschaftlichen Prinzipien führen. Dieser Themenkomplex wird uns beschäftigen müssen, bis hin zu einer Antwort auf die Frage, was nach dem Kapitalismus kommt. Wissenschaftlich ist die Mainstream-Ökonomie nicht mehr ausreichend imstande, mit den Problemen unserer Wirtschaft fertig zu werden.

Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Ich finde es bis zu einem gewissen Grad arrogant, Lösungsansätze zu unterbreiten, denn dann brauchen wir eigentlich gar nicht mehr zu diskutieren. Fair ist vielmehr, wenn ich mich in der Position aufhalte, Fragen zu stellen. Es sollte der Prozess von Alpbach Antwortversuche produzieren.

Alpbachs Motto ist heuer "Erwartungen - die Zukunft der Jugend". Wie könnten die Jungen verhindern, von einer demografischen Lawine erdrückt zu werden? Sollen sie auf die Straße gehen und protestieren?

Mir kommt vor, dass die heute 20- bis 25-Jährigen wieder wegkommen von der Idee der Ich-AGs, die eine egoistische Einstellung zur Gesellschaft war. Es wäre jedoch wichtig, dass sie sich in unserer Gesellschaft stärker artikulieren und mehr Möglichkeiten finden, ihre Positionen zu vertreten. Zwar kommunizieren junge Menschen untereinander enorm gut, weil sie die Social Media beherrschen, aber mit der Vor-Generation, die diese Medien wenig bis gar nicht beherrscht, kommunizieren sie kaum. Man muss Überlegungen anstellen, wie diese Kluft überwunden werden kann.

Beim Forum müssen wir sicherstellen, dass die Jungen ausreichende Auftritte auf dieser Bühne haben - dieses Ziel wird nämlich nicht erreicht, wenn in allen Panels das Durchschnittsalter 60 ist.

Sie plädieren für die Weiterentwicklung der Demokratie. Aber kann man noch von Demokratie sprechen, wenn Politiker nur an die Wiederwahl denken und immer weniger junge Wähler zur Urne schreiten?

Es ist richtig, dass wir vom Idealzustand einer Demokratie weit entfernt sind. Man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass über weite Strecken die Parlamente in Europa zu Organen der Exekutive geworden sind und die Regierungsparteien bestimmen, wie bei einer Abstimmungsmaschine, was die Parlamente zu tun haben.

Aber wir haben keine Alternativ-Demokratie, müssen daher versuchen, das bestehende demokratische System zu verbessern. Es gibt erste Bemühungen, etwa in der Frage einer EU-Wahlrechtsreform, oder eines stärker persönlichkeitsbezogenen Wahlrechts. Ein modernes Staatswesen mit repräsentativer Demokratie könnte jedenfalls mit direkten demokratischen Elementen sehr gut angereichert werden. Natürlich ist es kein Automatismus, dass dann mehr junge Menschen sich für Politik interessieren würden, aber es ist sehr gut möglich.



Experten, jung und alt, fordern eine Kehrtwende zur nachhaltigen Wirtschaft. Wie kann eine Klimawende vollzogen und dabei Ernährungssicherheit gewährleistet werden?

Innerhalb der kommenden 30 Jahre müssen wir um 70 Prozent mehr Lebensmittel produzieren, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können. Dazu müssen wir neue Kreisläufe entwickeln, die nicht mehr bloß beim Getreide das Korn oder beim Zuckerrohr den Zucker gewinnen, sondern die gesamte Pflanze verwerten. Fachleute sind überzeugt, dass sich die Erträge wesentlich steigern lassen, ohne dass die Umwelt darunter leidet. Was die Forschung und Technologieentwicklung in diesem Bereich betrifft, ist Europa allerdings nicht mehr führend. Wir müssen nun von den Brasilianern lernen. Im tropischen und subtropischen Gürtel befinden sich die größten ungenutzten Flächen. Da sie auf der gleichen geografischen Breite wie Afrika und Südostasien liegen, können erfolgreiche Produktionsmodelle direkt dorthin übertragen werden.

Weiters müssen wir Verluste im Agrarsystem reduzieren. In den Industriestaaten verschwenden wir Finalprodukte: In Wien etwa werden mehr Lebensmittel weggeworfen als in der zweitgrößten Stadt Österreichs, Graz, konsumiert werden. In Entwicklungsländern erreichen wiederum nur zehn Prozent von dem, was auf den Feldern wächst, die Teller. Wie lange es dauern wird, eine Klimawende herbeizuführen, hängt davon ab, wie schnell der Druck steigt. Wenn der Ölpreis weiter steigt, dann geht das schneller.

Zur Person

"Es wäre wichtig, dass sich die heute 20- bis 25-Jährigen in unserer Gesellschaft stärker

artikulieren."

"Die Frage, was nach dem Kapitalismus kommt, muss uns

ebenso beschäftigen wie der Klimawandel."

Franz Fischler

geboren am 23. September 1946 in Absam, war von 1989 bis 1994 Landwirtschaftsminister (ÖVP). 1995, nach Österreichs Beitritt, wechselte er als EU-Kommissar nach Brüssel. Dort war er bis 2004 zuständig für Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums. Fischler wurde im März zum neuen Präsidenten des Europäischen Forum Alpbach gewählt, das heuer von 16. 8. bis 1. 9. stattfindet. www.alpbach.org