Was wäre, wenn - die britischen Sonderwünsche aus Polen kämen? Oder Estland?
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Der Euro - unerwünscht. Ein fixer Schlüssel zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU - kein Interesse daran. Gemeinsame Regulierung der Finanzmärkte - nur unter Berücksichtigung der nationalen Gegebenheiten. Die Argumentation: "Diese Integration wollen wir nicht. Wenn die anderen enger zusammen rücken wollen - bitte sehr. Aber wir wollen eben nicht dabei sein." Und: "Wir möchten nicht alle Beschlüsse umsetzen müssen."
Sätze, die von einem ungarischen Premierminister stammen? Oder von einem tschechischen Staatspräsidenten? Solche Aussagen waren in den vergangenen Jahren aus Osteuropa immer wieder zu hören. Die Kritik daran wuchs in den letzten Monaten, wurde alle paar Wochen erneuert. Besonders die vier Staaten der Visegrád-Gruppe, Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, mussten sich vorwerfen lassen, unsolidarisch zu sein, europäische Lösungen für die Flüchtlingskrise nicht mittragen, eine politische Vertiefung der EU verhindern zu wollen.
Aber die Sätze kommen nicht aus einem jüngeren Mitgliedstaat, nicht aus einer jungen Demokratie, die manchen noch nicht gefestigt zu sein scheint. Sondern von einer Insel, einem Königreich, das stolz auf seine Eigenheiten verweist. Der Forderungskatalog, den Großbritannien den anderen EU-Staaten vorgelegt hat, ist eine Liste von Sonderwünschen, die sich kaum ein anderes Land zusammenzustellen wagte. Würden Polen oder Estland sich so etwas ausdenken, wäre die Empörung groß. Selbst die Vorstellung davon mutet bizarr an.
Doch der Ruf aus London stieß nicht auf taube Ohren, sondern löste monatelange Überlegungen aus, wie die Briten zufrieden zu stellen wären, wieviel ihnen gegeben werden könne, damit sie nicht aus der Gemeinschaft austreten. Das jüngste EU-Gipfeltreffen war diesem Thema gewidmet. Einen Donnerstagnachmittag lang, am Abend, bis in die Nacht hinein, am darauf folgenden Vormittag und wieder über den Nachmittag hinaus wurde darüber diskutiert.
Zwar gab es dabei auch mahnende Stimmen, wie die des französischen Präsidenten François Hollande, der vor zu vielen Zugeständnissen warnte. Es gab ebenfalls Beschwichtigungen: Von einem "Theater" sprach die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite und der üblichen "Rosinenpickerei" der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker. Doch ging es darüber hinaus.
Einmal mehr wurde nämlich die Kluft zwischen der Insel und dem Kontinent sichtbar. Und einmal mehr zeigten sich ebenfalls die Risse innerhalb der restlichen EU - und die unterschiedliche Behandlung der Staaten. Während London über eine Ausnahme nach der anderen verhandelt, werden jüngere Mitglieder heftig kritisiert, wenn sie nicht auf Linie bleiben wollen.
Das gilt auch für das zweite Gipfelthema: Migration. Während sich die Visegrád-Staaten einen Rüffel dafür abholen müssen, dass sie die mazedonische Grenze abriegeln helfen wollen, erklärt sich Österreich bereit, sogar Soldaten dorthin zu schicken - was zu keinen wütenden Reaktionen führt. Dass Frankreich übrigens eine fixe Quote zur Flüchtlingsverteilung ebenfalls ablehnt, wird nur am Rande erwähnt. Als Prügelknabe eignen sich nämlich andere Länder besser. Die, die im Machtgefüge weiter unten stehen.