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(K)ein Quäntchen Wachstum

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Die neue Rezession in Europa ist letztlich eine späte Folge der staatlichen wie privaten Schuldenexzesse der Vergangenheit.


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Noch zu Beginn dieses an schlechten Nachrichten reichen Sommers - Gaza-Krieg, Genozide im Irak, ein abgeschossenes und ein verschwundenes Verkehrsflugzeug, Gefechte in der Ostukraine, ein neuer Kalter Krieg, Ebola - schien wenigstens die EU-Wirtschaft Anlass zur Freude zu geben: die Rezession überwunden, zumindest bescheidenes Wachstum. Doch diese Hoffnung war trügerisch, Frankreich und Deutschland stagnieren wieder, das Wirtschaftswachstum in der Eurozone ist 2014 wohl nur in homöopathischen Dosen messbar - wenn überhaupt.

Das ist leider viel zu wenig, vor allem gemessen daran, welch schwere Krise Europa seit 2008 erlitten hat. In der Vergangenheit war nach derart gravierenden ökonomischen Einbrüchen meist heftiges Wachstum zu verzeichnen, doch die derzeitige Erholung der Eurozone lahmt und schwächelt geradezu besorgniserregend.

Deshalb wird im Herbst ziemlich sicher in ganz Europa wieder eine erbitterte Diskussion darüber beginnen, wie die Politik reagieren soll: mit anhaltender Sparsamkeit und Budgetdisziplin oder mit einer Aufweichung des Konsolidierungskurses - also mehr Schulden machen. (Übrigens: Die zusätzliche Neuverschuldung der Eurozone 2013 betrug 120 Milliarden Euro.
So viel zum Thema "Sparen".)

Man muss kein Ökonomie-Nobelpreisträger sein, um zu begreifen, dass eine Reduzierung staatlicher Ausgaben zumindest kurzfristig auch das Wirtschaftswachstum mindert, angesichts der chronischen Wachstumsschwäche Europas also kontraproduktiv erscheinen mag.

Ausgeblendet bleibt dabei allerdings ein simpler, aber eherner ökonomischer Sachverhalt: Auf Jahre des Überkonsums auf Kredit müssen Jahre des Unterkonsums folgen, in denen die finanziellen Verhältnisse wieder ins Lot gebracht werden.

In genau dieser Lage stecken in Europa, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, Staaten, Privathaushalte und Unternehmen. Sie mussten und müssen nach Jahren des Überkonsums ihre Bilanzen in Ordnung bringen - und das geht eben nicht anders als durch irgendeine Art des Sparens. Dass dies das Wirtschaftswachstum nicht gerade befeuert, ist bedauerlich, aber unvermeidlich. Nicht der Sparkurs ist schuld an der Rezession, sondern jene Ausgabenexzesse der Vergangenheit, die einen solchen Sparkurs alternativenlos gemacht haben.

Politik, die den Eindruck erzeugt, die Konsequenzen der Kreditexzesse der Vergangenheit gleichsam schmerfrei verschwinden lassen zu können - zum Beispiel durch ein weiteres Auftürmen der Schuldenberge -, handelt grob fahrlässig. Denn auf diese Art und Weise ist es natürlich mit ein bisschen Glück möglich, die unvermeidliche Rezession ein paar Jahre in die Zukunft zu verschieben - doch sie fällt dann eben noch heftiger aus, wie jeder private Schuldner aus bitterer eigener Erfahrung berichten kann.

Halbwegs seriöse Wirtschaftspolitik kann daher einer Gesellschaft, die längere Zeit über ihre Verhältnisse gelebt hat, das ökonomische Nachhungern nicht ersparen. Sie kann es nur so gestalten, dass dieser unerfreuliche Prozess möglichst geordnet und ohne allzu schlimme soziale Verwerfungen abläuft. Wer seinen Wählern mehr als das verspricht, hat sich eine ordentliche Portion Misstrauen redlich verdient.