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Kein Regenbogen an Polens Schulen

Von Eva Krafczyk

Politik

Bildungsminister plant Gesetzesentwurf gegen "schwules Unterrichtsmaterial". | Homosexuelle leben in Polen ohnehin am Rande der Gesellschaft. | Warschau. (dpa) So unterschiedlich können die Sitten und Vorstellungen von Toleranz im vereinten Europa sein: Während in Großbritannien künftig schon Grundschüler lernen könnten, dass ein Mann sich auch in einen anderen Mann verlieben kann oder zwei Frauen miteinander glücklich Märchenhochzeit feiern, müssen in Polen offen schwule oder lesbische Lehrer um ihre berufliche Existenz fürchten.


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Erziehungsminister Roman Giertych von der nationalistisch-rechtskatholischen Liga Polnischer Familien (LPR), der erst kürzlich unter seinen europäischen Fachkollegen mit schwulenfeindlichen Äußerungen für Befremden und Empörung sorgte, will nun "homosexuelle Propaganda" von den Schulen verbannen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf soll binnen eines Monats fertig gestellt sein.

Giertychs Stellvertreter Miroslaw Orzechowski setzte noch eins drauf: Lehrer, die an Schulen für "Homosexualität und andere Perversionen" werben, würden die Arbeit verlieren. Was "homosexuelle Propaganda" sein soll, ist der polnischen Öffentlichkeit bisher unklar. Dies soll erst in dem anstehenden Gesetzentwurf definiert werden.

Doch die Messlatte der LPR scheint denkbar niedrig. Schon kurz nach seinem Amtsantritt im Vorjahr entließ Giertych den Leiter des Zentrums für Lehrerfortbildung und warf ihm Werbung für Homosexualität vor. Grund für Giertychs Empörung war eine vom Europarat herausgegebene und bei der Lehrerfortbildung eingesetzte Publikation zum Thema Toleranz, Minderheiten und Menschenrechte. Auf einigen Seiten des Buches ist auch von Toleranz gegen sexuelle Minderheiten die Rede.

Anleitung zum Sex?

Giertychs Vize Orzechowski braucht ebenfalls keine schwulen Hardcore-Bilder, um eine Gefährdung der polnischen Jugend zu befürchten. Als Beweis für homosexuelle Propaganda präsentierte er die Broschüre einer schwulen Jugend-organisation, die an einer Krakauer Schule beschlagnahmt worden war. "Diese Bilder sprechen für sich!", sagte er empört angesichts eines Fotos, auf dem sich zwei junge Männer am Strand im Sonnenuntergang küssen. Zudem seien auf einer Informationsveranstaltung gegen Aids Broschüren einer homosexuellen Initiative für Safer Sex verteilt worden. "Das ist nichts anderes als eine Anleitung für homosexuellen Sex!", so Orzechowski.

Dabei scheint nichts von der Realität polnischer Schulen weiter entfernt als die Vorstellung, dass homosexuelle Lehrer in den Klassenräumen die Regenbogenfahne hissen und freimütig über das eigene Liebesleben plaudern. Schon allgemeine Sexualerziehung findet an zahlreichen Schulen wegen des Widerstandes von Eltern und Kirche nicht statt.

Ein öffentliches Coming Out käme für viele Homosexuelle in Polen - nicht nur an Schulen - sozialem Selbstmord gleich. Vor allem auf dem Land und in Kleinstädten haben Schwule und Lesben keinerlei Möglichkeiten, sich mit anderen zu treffen, die Szene in den Großstädten ist klein und überschaubar.

Heilbare Krankheit

Die Vorurteile, denen Homosexuelle ausgesetzt sind, sind enorm - für viele Polen sind Schwule und Kinderschänder eins. Homosexualität wird zudem vielfach als eine ansteckende, aber auch heilbare Krankheit dargestellt. Laut Robert Biedron von der "Aktion gegen Homophobie" in Warschau werde etwa ein Fünftel der Schwulen und Lesben in Polen einmal pro Jahr beschimpft, beleidigt oder sogar geschlagen.

Manchmal wird es ernst. So wurde ein Klub für Schwule mit Molotowcocktails beworfen. Die Zahl der Angriffe sei seit 2005 deutlich gestiegen, sagt Biedron. "Wenn die Regierung ihren Wählern sagt, dass die Homosexuellen verantwortlich für alles Böses sind, dann wächst auch die Aggression gegen uns."

Die Aversion schlägt sich auch in Umfragen nieder: Knapp die Hälfte der Polen wünscht sich demnach keinen Homosexuellen unter ihren Bekannten. Und beinahe 80 Prozent der Befragten würden einem Schwulen verbieten, als Lehrer zu arbeiten.

Der polnische Lehrerverband protestierte jedenfalls gegen die Pläne des Ministeriums. Lehrer sollten ausschließlich nach ihrer Fachkompetenz beurteilt werden, hieß es in einem Protestschreiben. Und: "Es ist unzulässig, homosexuelle Lehrer mit Hassattacken zu schikanieren."