Die Monarchie musste erst untergehen, damit die Dichter ihr ein Denkmal setzten. Erleidet die Zweite Republik das gleiche Schicksal?
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Vier Tage noch bis zur Wahl, die allgemein als mögliche Zäsur empfunden wird. Zum Besseren oder zum Schlechteren, je nach Standpunkt eben. Man kennt das aus den vergangenen Jahren, es ist ja beileibe nicht das erste Mal, dass das Ende der Zweiten Republik heraufbeschworen wird.
Seit den späten 1980er Jahren regt die Aussicht auf ein mögliches Ende der Zweiten Republik die Fantasie der kritischen Geister an: Was denn nur kommen könnte, wenn das Land einmal nicht mehr so sein sollte, wie wir es kennen, getragen von SPÖ, ÖVP und der Sozialpartnerschaft? Bemerkenswert daran ist: Von Wehmut ist dabei nur in den seltensten Fällen die Rede. Im günstigsten Fall bildet die seltsame Angstlust vor einer dann gewiss bevorstehenden semi-autoritären Dritten Republik den Rahmen. Und erst im Vergleich vor diesem Szenario erscheint die Republik immer noch besser als alles, was da folgen könnte.
Zumeist jedoch hat das Bestehende keinen Anspruch auf Gnade in den Augen ihrer intellektuellen Kritiker. Die sind überzeugt, dass da längst etwas zu Ende hätte gehen sollen, das sich aber aus unerfindlichen Gründen beharrlich weigert, den finalen letzten Weg zu gehen. Mit Mitleid geschweige denn Sentimentalität kann dieses "System" auf jeden Fall nicht rechnen. Alles andere stünde ja sonst unter akutem Hagiografie-Verdacht. Das kann ruftechnisch mitunter tödlich sein in kritischen Kreisen.
Was fehlt, ist dagegen ein Roman, ein großes Drama mit der Zweiten Republik im Zentrum, mit ihrem Anfang und Aufstieg, ihren Widersprüchen und Konflikten, ihren Erfolgen und Niederlagen. Ein solches Werk ist bis heute nicht geschrieben worden.
Sicher, es gibt Abrechnungen und Anklagen, etliche davon ganz wunderbar geschrieben, herausragend "Heldenplatz" von Thomas Bernhard, deftig wie "Opernball" von Josef Haslinger, düster wie die Bücher Josef Winklers oder grell wie die Dramen Elfriede Jelineks. Und etliche Weitere müsste man aufzählen. Nur eine Würdigung der bisherigen Lebensleistung der Zweiten Republik gibt es nicht, zumindest ist mir keine bekannt.
Aber das kann ja noch kommen, wenn das Neue erst einmal da und nicht nur herbeifantasiert ist. Joseph Roth hat seinen "Radetzkymarsch", dieses Hohe Lied voller Melancholie und Wehmut auf die untergegangene Monarchie, schließlich auch erst in den 1930er Jahren geschrieben als längst klar war, dass nichts Besseres nachgekommen ist. Wenn die Legende stimmt, dann wollte Otto Habsburg in einem tollkühnen Rettungsversuch des bedrohten Österreich Roth sogar zum Bundespräsidenten machen. Das war natürlich ein völlig wahnwitziges Vorhaben des letzten Kaisersohns, aber was für eine Idee!
Nimmt man also das Beispiel der Monarchie als Maßstab, so hat die Zweite Republik noch intakte Chancen auf eine angemessene literarische Würdigung. Dazu müsste sie aber erst untergehen. Erst dann wird nämlich allen Zeitzeugen klar sein, dass sie das, was sie einmal hatten, nicht mehr zurückbekommen.
Aber wer weiß: Womöglich ist die Geschichte der Zweiten Republik ja auch nach den kommenden Wahlen noch gar nicht zu Ende erzählt.