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Die spektakulären Gustostückerl sind auf dem Fußballplatz fast ausgestorben - schuld sind das hohe Tempo und die gewieften Abwehrspieler.
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Wir haben schon viele große Momente bei dieser Weltmeisterschaft erlebt: herrliche Tore (etwa von James Rodríguez, Robin van Persie und Tim Cahill), dramatische Elferkrimis, schön anzusehenden Offensivfußball und nicht zu wenige Sensationen. Also alles, was diesen Sport ausmacht - mit einer einzigen Ausnahme: Auch bei dieser Endrunde liefern uns die Fußballkünstler und Edeltechniker - wiewohl zahlreich vertreten - de facto keine Darbietung ihre Zauberkunst in Form von ausgefeilten Tricks. Also auf gut Österreichisch Kabinett- oder Gustostückerl. A Schupferl, a Gaberl, a Scheißerl, a Goal hat man früher zu derartigen spielerischen Höchstleistungen gesagt, mit denen man das Publikum - selbst wenn es brotlose Kunst war - in Scharen entzücken konnte. Doch in der Hochburg der Ballartisten, sprich Brasilien, sind derartige Attraktionen derzeit ausnahmslos außerhalb der Stadien, auf der Copacabana oder den staubigen Favela-Plätzen, zu bestaunen. Bei den WM-Spielen gingen die wenigen probierten Überraschungsmomente eher in die Hose: Ángel Di Marías Flanke mit hinten überkreuzten Beinen gegen die Schweiz landete kläglich im Torout; und bei Thomas Müllers Freistoß-Trick mit eingesprungenem Stolperer gegen Algerien rätselt die Fachwelt immer noch, ob das denn Absicht war oder nicht. Faktum ist, dass die drei Ausnahmekönner bei diesen Titelkämpfen - Lionel Messi, Neymar und Cristiano Ronaldo -, die allesamt vom Fallrückzieher bis zum Fersler, vom Gaberlpass bis zum Gurkerl alles drauf haben, was Fuß und Ball hergeben, mit ihrer Trickkiste arg gegeizt haben. Einen Grund für diese Entwicklung hat der deutsche Ex-Europameister und -Österreich-Legionär Hansi Müller vor einigen Monaten gegenüber der "Wiener Zeitung" artikuliert: "Ich bin ein Fan des Offensivfußballs", führte der 56-Jährige aus, "aber diese unglaubliche Dynamik, die Härte im Zweikampf und die taktischen Finessen beim Verteidigen machen es ganz schwierig, einen Fußball fürs Schaufenster zu bieten." Dabei, so klagte Müller, würden diese "Schmankerl" wie das A und O zum Fußball dazugehören. Nachsatz: "Das Ganze hat sich zuletzt unheimlich verschärft. Mittlerweile kann man solche Kunststücke nicht einmal mehr in den Prominenten-Spielen zeigen, denn dort wird auch schon unglaublich zugelangt." Dazu muss man wissen, dass Müller einer der bekanntesten Vertreter dieses Fußballs für die Galerie war und diesem einen Gutteil seiner Beliebtheit bei den Fans - nicht nur beim FC Tirol - verdankte. Es war allerdings eine ganz andere Epoche des Spiels: In den 1980er Jahren, da hatte man noch unendlich Zeit, sich den Ball herzurichten, um sich zu überlegen, ob man den Gegenspieler nun ganz normal oder mit einem feinen Trick aussteigen lässt. Alle, die sich nach solchen WM-Gustostückerln sehnen, sei ein Klick auf Youtube angeraten: Wie der Mexikaner Cuahtémoc Blanco etwa anno 1998 zwei Südkoreaner düpiert, indem er mit eingezwicktem Ball zwischen ihnen durchspringt; oder wie sich die Mexikaner 1986 gegen Bulgarien den Ball doppelpassmäßig zugaberln, ehe Manuel Negrete per Seitfallzieher ins Eck trifft; oder wie der Brasilianer Mané Garrincha bei seinen WM-Auftritten 1958, 1962 und 1966 die Gegner reihenweise austanzt; so tat es auf großer Bühne seither nur mehr der Nigerianer Jay Jay Okocha, 1998 in Frankreich. Ein Trick machte ihn übrigens unsterblich: In seiner Bundesliga-Zeit überhob er einst einen Gegner per aufgegaberltem Fersler. Das Publikum johlte.