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Barack Obama reist am Freitag als erster US-Präsident nach Hiroshima. Eine Entschuldigung für die Atombombenabwürfe im August 1945 ist nicht vorgesehen. Opfervertreter kritisieren das - es gibt aber auch Betroffene, die das anders sehen.
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Tokio/Hiroshima. Wenn Barack Obama am kommenden Freitag als erster amtierender amerikanischer Präsident die japanische Stadt Hiroshima besucht, soll er eine starke Erklärung gegen Krieg abgeben. Das wünscht sich der 78-jährige Katsuto Osumi, und mit ihm viele weitere Bewohner von Hiroshima sowie Nagasaki, die wie er "Hibakusha", Atombombenopfer sind.
Sie haben jahrzehntelang an amerikanische Präsidenten appelliert, die beiden einzigen Städte zu besuchen, die von Atombomben zerstört wurden. Tausende Menschen starben sofort, allein in Hiroshima insgesamt 140.000 im ersten halben Jahr danach, in Nagasaki weitere 74.000. Osumi war sieben Jahre alt, als ein amerikanischer Bomber am 6. August 1945 die verhängnisvolle Fracht abwarf. Wie viele von den rund 180.000 noch lebenden Hibakusha - heute im Durchschnitt über 80 Jahre alt - kann der weißhaarige Senior die Bilder von damals nicht vergessen. Vielen Opfern hing die Haut in Fetzen vom Körper herab, von anderen blieb nur noch ein schwarzer Ascheabdruck auf dem Gehweg. Glasflaschen verschmolzen durch die Hitze miteinander, Stahlstreben verbogen sich wie Wachs.
China und Korea gegen Japan
Osumi berichtet seit vielen Jahren an Schulen von seinen Erlebnissen. Er will der jungen Generation, die Krieg nie erlebt hat, dessen Schrecken verdeutlichen. Den Besuch Obamas in Hiroshima am 27. Mai am Rande des G7-Gipfels in Japan begrüßt Osumi insofern. "Anstatt einfach nur Fotos anzusehen ist es schon besser, dass er hierherkommt und sich mit eigenen Augen ein Bild macht."
Seit Obamas geplanter Abstecher bekannt wurde, wird in Japan, den asiatischen Nachbarländern und in Amerika heiß diskutiert, ob er sich für das Leid, das sein Land mit den Atombomben über Japan gebracht hat, entschuldigen sollte. Aus Washington wird dies verneint. Ebenso wenig sei ein Treffen mit Atombombenopfern vorgesehen, heißt es. Osumi bestätigt dies, er habe nichts von einem Treffen mit Opfern gehört.
Aus China und Korea, den früheren Gegnern Japans im Zweiten Weltkrieg, wurden schnell kritische Stimmen laut, dass Obamas Besuch Japan nur helfe, sich als Opfer zu fühlen und zu gerieren. Sie argumentieren, dass dies Japan erlauben würde, sich der Verantwortung für eigene Gräueltaten im Krieg zu entziehen. In Südkorea hatten die Japaner zum Beispiel im großen Stil junge Frauen in Soldatenbordelle gezwungen, in China hatten sie in der Stadt Nanking ein Massaker an Zivilisten angerichtet, bei dem Zehntausende umkamen.
Noch heute prägen diese Taten das Verhältnis Japans mit den Nachbarnationen in Ostasien. Vor allem die Beziehungen zu Korea, das Japan von 1910 bis 1945 als Kolonialmacht beherrschte, sind angespannt. Japan hatte in der Kriegszeit Arbeiter aus Korea rekrutiert, teils unter Zwang, darunter für Industriebetriebe in Hiroshima und Kohleminen in Nagasaki. Als die Bomben fielen, waren unter den Opfern auch Koreaner. An sie erinnert in Hiroshima ein kleines symbolisches Grabmal. "Ich wünsche mir, dass Obama auch dieses besucht", sagt Osumi, und unterstreicht damit seine versöhnliche Einstellung. Osumi, dessen breite Narben vom Hals bis zur Hüfte von mehreren Krebserkrankungen zeugen, ist klar dagegen, dass Obama Japan um Verzeihung bittet. "Sonst taucht mal hier, mal dort jemand auf, der eine Entschuldigung will, und das mit dem Entschuldigen nimmt kein Ende... Dann müsste sich auch Japan bei den Amerikanern für Pearl Harbour entschuldigen, und darüber wird in Japan kein Wort verloren."
Terumi Tanaka und Toshiki Fujimori sehen das anders. Die Vertreter der Opfervereinigung Nihon Hidankyo sagten auf einer Pressekonferenz im Club der Auslandskorrespondenten in Tokio, dass sie sehr wohl eine Entschuldigung erwarteten. "Wir rufen die USA dazu auf, anzuerkennen, dass die Atombomben ein Verstoß gegen die Menschenrechte sowie gegen internationales Gesetz waren", sagte Fujimori mit ernster Miene.
Er war noch kein Jahr alt, als die erste Bombe 2,3 Kilometer entfernt detonierte. Tanaka war Mittelschüler in Nagasaki, drei Kilometer vom Epizentrum der zweiten Bombe entfernt. Die Opferorganisation fordert weiter, dass Obama die Versprechen seiner berühmten Prag-Rede 2009 über die Schaffung einer atomwaffenfreien Welt erfülle. Die Rede habe vielen Mut gemacht, sagte Fujimori, aber sieben Jahre später sei nichts passiert. Zum Beispiel sei der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) bis heute nicht ratifiziert.
Der lebenslustige Osumi, der im Rentenalter einen eigenen Getränkevertrieb aufbaute, ist Verkäufer durch und durch, das spürt man schnell. Er überschlägt die Kosten für die zusätzlichen knapp 5000 Polizisten zum Schutz Obamas und zur Verhinderung von Anschlägen: "Ganz ehrlich - statt für seinen Besuch wäre das Geld besser in den Wiederaufbau in Kumamoto investiert." In der südjapanischen Region sind seit mehreren starken Erdbeben im April Zehntausende obdachlos. Er hoffe, dass der Besuch Obamas schnell vorbei gehe. Es gebe noch so viele ungelöste Probleme in Japan, etwa die Atomkatastrophe von Fukushima.
Die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. und am 9. August 1945 durch die USA waren der bislang einzige Einsatz von Atomwaffen in einem Krieg. Die Atombombenexplosionen töteten insgesamt etwa 92.000 Menschen sofort - fast ausschließlich Zivilisten und von der japanischen Armee verschleppte Zwangsarbeiter. Das Gedenken an die Opfer spielt in Japan eine große Rolle. Weltweit wurden Hiroshima und Nagasaki zu Symbolen für die Schrecken eines möglichen Atomkrieges.