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Kein Staatsziel-Konsens in Sicht

Von Walter Hämmerle

Politik

Die Phase feierlicher Absichtserklärungen und vollmundiger Zielsetzungen ist für den Österreich-Konvent endgültig vorbei. Nun geht es in den verschiedenen Ausschüssen um die politische Knochenarbeit. Vorigen Freitag hat der Ausschuss I, der sich mit der Frage Staatsaufgaben und Staatsziele befasst, einen Teilbericht vorgelegt. Ein Konsens ist allerdings nicht in Sicht: Nicht einmal in der Frage, ob die neue Verfassung überhaupt über einen Staats-Zielkatalog verfügen soll, konnte bislang Einigkeit zwischen den Fraktionen hergestellt werden.


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Österreich eine übersichtliche, für jedermann verständliche und noch dazu gut lesbare Verfassung zu geben, ist leichter gesagt als getan. Besonders gut lässt sich dies bei der Arbeit des Ausschusses I (Vorsitz führt der Wiener Verfassungsrechtler Heinz Mayer) beobachten, der die Frage klären soll, ob - und wenn ja, in welcher Form - der neue Verfassungstext auch künftig über einen Katalog an Staatszielen verfügen soll. Bisher sind als solche festgeschrieben: gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, Gleichbehandlung von Mann und Frau sowie Behinderten, Umweltschutz, Landesverteidigung, Neutralität, Verbot von NS-Wiederbetätigung, Rundfunk als öffentliche Aufgabe, Bildung sowie Volksgruppen.

Die Beratungen im Ausschuss waren dabei von Anfang an von einem unüberbrückbaren Widerspruch gekennzeichnet: Wie sehr soll eine moderne Verfassung durch die Festschreibung konkreter politischer Inhalte den Gesetzgeber in tagespolitischen Entscheidungen binden? Dass die Kluft zwischen diesen beiden konträren Auffassungen weitgehend mit jener ident ist, die die beiden Lager Schwarz-Blau und Rot-Grün trennt, rückt die Chance auf einen Staatsziel-Konsens in weite Ferne.

Überraschend kommt diese Entwicklung jedoch nicht. Vor allem die ÖVP hat von Anfang an deutlich gemacht, dass sie einem umfassenden Staatsziel-Katalog skeptisch gegenübersteht. "Die Festschreibung von etwas, das in der Ausführungskompetenz der Tagespolitik liegt, darf nicht in Verfassungsform kommen", erklärt Reinhard Rack, Europaabgeordneter der ÖVP und Universitätsprofessor für Verfassungsrecht, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Statt solche wünschenswerten Ziele des Staates verfassungsrechtlich festzuschreiben, wären diese nach Ansicht Racks besser in einer der Verfassung nur vorgelagerten Präambel, aufgehoben.

Nicht zuletzt auch durch die Länge der Liste an potenziellen Staatszielen - neben den bisher bestehenden 10 wurden insgesamt 37 weitere von den verschiedensten Interessen- und Lobbyinggruppen eingereicht - sieht sich Rack in seiner anfänglichen Skepsis eines Staatsziel-Katalogs bestätigt.

Eine solche Auffassung entspricht jedoch ganz und gar nicht der Vorstellung der Grünen-Abgeordneten Evelin Lichtenberger, die mit Rack gemeinsam in dem Ausschuss sitzt. Es war daher kein Wunder, dass sich das anfänglich gute Diskussionsklima im Ausschuss zwischen den beiden Lagern nach und nach zum Schlechteren veränderte.

Zwar ist sich auch Lichtenberger der beschränkten rechtlichen Durchsetzungskraft allgemeiner Staatsziele bewusst, trotzdem hält sie deren verfassungsrechtliche Festschreibung für notwendig und wertvoll. Ausschlaggebend sei dabei vor allem die konkrete Formulierung, schließlich sei es ein Unterschied, ob es heißt "Österreich will irgendwann soziale Gerechtigkeit" oder "Österreich verpflichtet sich zu sozialer Gerechtigkeit und setzt diese um", ist Lichtenberger überzeugt. Ähnliches gelte für die Bereiche Bildung, Gleichstellung und öffentliche Daseinsvorsorge, der angesichts zunehmender Privatisierungstendenzen ein besonderer Stellenwert zukomme. Es gehe hier darum, dass "Staatsziele positiv formuliert werden". Klar sei aber auch, so Lichtenberger, dass die grundrechtliche Verankerung von individuellen und sozialen Rechten vor jener in Form allgemeiner Staatsziele Priorität habe.

Von einem auch nur ansatzweisen Konsens in Ausschuss I kann deshalb angesichts der grundsätzlichen Auffassungsunterschiede keine Rede sein. Dass die APA gestern trotzdem einen solchen in Teilbereichen konstatierte, ist für Rack schlicht ein "Missverständnis": "So, wie der Staatszielkatalog bisher diskutiert wurde, kommt er sicher nicht", stellt er unmissverständlich klar: "Diese Zahl und Dichte an Staatszielen ist ein Widerspruch zum erklärten Ziel des Konvents, eine übersichtliche und verständliche Verfassung zu schaffen."

Als eine der Ursachen für die derzeit festgefahrene Situation ortet er die personelle Besetzung des Ausschusses: Dieser sei zwar mit ÖGB-Chef Fritz Verzentnitsch, Arbeiterkammer-Chef Herbert Tumpel oder Wiens Bürgermeister Michael Häupl von SPÖ-Seite prominent besetzt. Diese ließen sich jedoch fast immer von jungen Mitarbeitern vertreten, die einfach nicht über das politische Pouvoir für Kompromisse verfügten, erklärt Rack.

Das weitere Vorgehen hängt nun vom Präsidium des Konvents ab. Entweder nimmt dieses nun auf Grundlage des Teilberichts die politischen Verhandlungen auf oder die Debatte wird im Plenum forgesetzt. So oder so könnte die Arbeit von Ausschuss I jedoch sehr rasch abgeschlossen sein.

Information unter http://www.konvent.gv.at