Viele Steinmetze nur mehr Händler. | Richtungsstreit in Branche entbrannt. | Wien. Rund um Allerheiligen haben die österreichischen Steinmetze Hochsaison. Schließlich will jeder Hinterbliebene das schönste Grab des Friedhofs vorweisen können. Diverse Renovierungsarbeiten gehören zu den wenigen handwerklichen Aufgaben, die den heimischen Steinmetzbetrieben im Grabsteingeschäft noch zukommen. Längst beherrschen vorgefertigte Billiggrabmäler aus Indien und China den Markt.
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Dass die Globalisierung auch vor Friedhofsmauern nicht halt macht, hat in den letzten Jahren zu tiefgreifenden Veränderungen in der Steinmetzbranche geführt. Billige Grabsteine und Grabeinfassungen - in erster Linie aus Indien und China - werden in fertigem Zustand über Großhändler importiert und zum Kauf angeboten. Viele Steinmetze sind von Handwerkern zu Händlern geworden.
Rudolf Wunsch, Bundesinnungsmeister der Steinmetze, geht davon aus, dass bereits etwa ein Drittel aller in Österreich verkauften Grabanlagen aus Indien oder China kommt. Bei 15.000 bis 20.000 neuen Gräbern pro Jahr sind das immerhin 5.000 bis 6.000. Auffallend sei, so Wunsch, dass der Import in den westlichen Bundesländern fast keine Rolle spielt, während ihm in Ostösterreich - vor allem in Wien - ein großer Stellenwert zukommt.
Preisvorteil für Kunden
"Der Wiener Kunde kauft heute in erster Linie den Preis", erklärt Lilian Hofmann, Angestellte beim Steinmetzbetrieb Hagleitner, achselzuckend. Die Firma Hagleitner ist - aus der Stadt kommend - der erste Betrieb an der Grabsteinavenue, die sich entlang des Wiener Zentralfriedhofs zieht. Früher sei, so Hofmann, für eine Grabanlage aus buntem Stein das Dreifache des heutigen Preises bezahlt worden. Mittlerweile könnten die österreichischen Steinmetze mit den billigen Produktionsbedingungen in Indien und China einfach nicht mehr mithalten. Die importierten Grabsteine kommen, laut Wunsch, den Kunden nämlich im Schnitt um ein Drittel billiger als die heimischen Produkte. Im Extremfall könne der Unterschied sogar bis zu sechzig Prozent ausmachen.
Das Unternehmen Ha g leitner importiert seit vier Jahren aus Fernost. Die Ware wird containerweise über Großhändler bezogen. Bis auf wenige Ausnahmen stammen sämtliche der etwa 250 jährlich verkauften Grabanlagen aus Massenproduktion. Selber muss man lediglich noch die Grabeinfassungen auf die richtige Länge zuschneiden.
Hagleitner verkauft Grabanlagen ohne Deckel ab 1.500 Euro. Bunte Steine - wie sie etwa aus Indien kommen - erhält man ab 2.500 Euro. In diesem Preissegment zeigt sich auch die Unterlegenheit heimischer Produkte. Die wenigen Stücke, die Hag leitner noch selbst fertigt, könnten preislich zwar mithalten, sie verkaufen sich aber schlechter als die importierten. Zu deutlich sieht der Kunde die Unterschiede, gerade was die zeitaufwendige Politur angeht, die den Stein ja erst zum Glänzen bringt. Hier punkten indische Betriebe aufgrund der niedrigeren Lohnkosten mit mehr Qualität.
Weniger Lehrstellen
Der Wandel vom Handwerker zum Händler führt in der Branche zu Nachwuchsproblemen. "Außer Zuschneiden, Gravieren und Gräbersetzen können Lehrlinge bei uns nichts lernen", gibt Hofmann zu bedenken. Lehrlinge seien bei Steinmetzen, die Baustellen betreuen, besser aufgehoben. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Anzahl der Betriebe rund um den Zentralfriedhof laut Hofmann mittlerweile halbiert hat.
Bundesweit ist in den letzten sechs Jahren die Zahl der Steinmetzbetriebe zwar gestiegen, die der Beschäftigten aber deutlich gesunken. Zudem geht der Umsatz der Branche zurück, was manche darauf zurückführen, dass die Wertschöpfung zunehmend im Ausland liegt (Grafik).
Zwischen Anhängern der Tradition und denen der neuen Gegebenheiten herrscht in der Branche ein Richtungsstreit. Während die einen auf die ökonomischen Vorteile ihres Geschäftskonzepts hinweisen, kritisieren die anderen unsoziale Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern. Vor allem im Zusammenhang mit Indien ist immer wieder von Kinderarbeit die Rede, was Großhändler vehement bestreiten.
"Steinerne Visitenkarte"
Die Traditionalisten hoffen aber in erster Linie darauf, dass ein Marktsegment für maßgefertigte heimische Ware bestehen bleiben wird. Laut Martin Schmeiser, stellvertretender Wiener Landesinnungsmeister, gehe es schließlich darum, den Verstorbenen individuell "ein Denkmal zu setzen", und nicht "ihnen eine steinerne Visitenkarte hinzuknallen."