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Kein Tolstoi in der Ukraine

Von Edwin Baumgartner

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"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.

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Die Außenansicht - die Innenansicht: Das ist eine heikle Sache.

Einigen Meldungen zufolge will sich die Ukraine entrussifizieren, indem sie alles verbietet, was in Zusammenhang mit russischer Kultur steht. Das erinnert an die Gesetze zur Regelung der Sprache, denen zufolge beispielsweise Buchläden schon vor dem Krieg verpflichtet waren, dass mindestens 50 Prozent ihrer Ware in ukrainischer Sprache verfasst sein muss. Leser traf das wenig, denn Ukrainisch und Russisch sind eng verwandte Sprachen, beide werden in kyrillischer Schrift geschrieben, wer die eine kann, versteht die andere.

Doch die ukrainisch-russischen Kulturbeziehungen sind weit enger. Um es auf eine Kurzfassung zu bringen: Keine russische Kultur ohne ukrainische Kunst, keine ukrainische Kultur ohne russische Kunst. Das war von Anfang an so, denn an der Wiege etwa der sprachformenden russischen Literatur standen der Russe Alexander Puschkin und der Ukrainer Nikolai Gogol. Eine Unterdrückung der russischen Kultur in der Ukraine wäre eine Absurdität sonder gleichen.

Aber da ist auch Wladimir Putins Krieg, und mit einem Hauch Einfühlungsvermögen kann man verstehen, dass man nicht unbedingt Tolstoi lesen will im Schutzraum, in dem man sich vor den russischen Bomben und Raketen in Sicherheit gebracht hat.

Als ob das menschliche Leid nicht genug wäre: Wladimir Putins Krieg initiiert obendrein einen kulturellen Kahlschlag. Jetzt in der Ukraine.

Hoffentlich nicht in ganz Europa.