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Kein totaler Friede

Von Michal Hvorecky

Gastkommentare
Michal Hvorecky ist Autor und Übersetzer in Bratislava.
© Ptolusque, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Der Krieg ist sofort zu Ende, wenn der Angreifer Russland aufhört, die Ukraine zu vernichten.


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Ich war gegen den Irak-Krieg. Sowohl, weil er auf Lügen gebaut wurde, als auch wegen der katastrophalen Art und Weise, wie er geführt wurde. Gleichzeitig habe ich mich gefreut, als der despotische Diktator und Massenmörder Saddam Hussein und sein verbrecherisches Regime gestürzt wurden.

Ich bin gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und gegen jeden Krieg. Als mich die Einberufungsbehörde als Jugendlichen in Bratislava fragte, warum ich den Militärdienst verweigere, antwortete ich, dass ich Pazifist sei - die postkommunistischen Kommandanten, noch im Warschau Pakt des Ostblocks ausgebildet, verstanden das Fremdwort nicht. Ich musste meinen Standpunkt ausführlich erklären.

Ich bin immer noch Pazifist und würde es sehr begrüßen, wenn die Welt lieber in Kultur und Bildung statt in Waffen investieren würde. Dennoch finde ich, dass die angeblichen Friedensstifter von heute eklatante Heuchler sind, ich bin abgestoßen von ihrem falschen Getue, ich bin angewidert von ihren doppelzüngigen Märschen und immer neuen Petitionen und Manifesten.

Die Ukraine will endlich in Ruhe gelassen werden

Der Krieg ist sofort zu Ende, wenn der Angreifer Russland aufhört, die Ukraine zu vernichten. Der Friede ist in greifbarer Nähe - es reicht, wenn der Kreml seine Truppen endlich zurückzieht. Die Ukraine wünscht sich nach neun Jahren nichts mehr, als von der aggressiven, imperialen Russischen Föderation endlich in Ruhe gelassen zu werden. Doch Präsident Wladimir Putin weiß sehr wohl, was eine Niederlage für ihn und seine Schergen im Polizeistaat bedeuten würde.

Die Ukraine als Opfer des russischen Angriffskrieges verdient alle militärische Hilfe, die jetzt von größter Bedeutung ist. Eine Stabilisierung des aktuellen Status quo würde bedeuten, Millionen von Menschen in den okkupierten Gebieten der Ostukraine der Ermordung, Vergewaltigung und Entführung zu überlassen.

Kurz nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad erklärte Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast den totalen deutschen Krieg. Seine Rede wurde fanatisch bejubelt. Der Reichspropagandaminister wollte die immer brutalere Kriegstaktik der verbrannten Erde rechtfertigen und ordnete den zerstörerischen Zielen des Nationalsozialismus alles unter, sämtliche personellen und materiellen Ressourcen. Er stimmte damit das Volk auf die Formel "Sieg oder Untergang" ein.

Heute fordern sehr viele Menschen, auch zahlreiche wichtige europäische Intellektuelle, Künstlerinnen und Künstler, einen sofortigen Waffenstillstand - aber das ist eine große gefährliche Lüge, eine trügerische Illusion, die ich den totalen Frieden nenne. Einen Frieden, der den Macht- und Gewaltabsichten des russischen Aggressors untergeordnet ist. Einen Frieden auf Kosten der freien Ukrainer. Einen Frieden im Interesse der kleptokratischen Regimes, die ihre schmutzigen Geschäfte mit der Kreml-Oligarchie gerne fortsetzen wollen.

Schuldzuweisungen in manipulierten Erzählungen

Vor einem Jahr hat Russland die Schlacht in Kiew verloren, und das war ein Schock für Putin. Wäre das nicht passiert, hätten auch die Slowakei, Ungarn oder Rumänien einen neuen, beängstigenden, expandierenden Nachbarn bekommen und mit ihnen die gesamte Europäische Union.

Alice Schwarzer, Hanna Schygulla, Jürgen Habermas oder Valie Export haben höchstwahrscheinlich keine Ahnung, dass ihre Unterschriften und Aufrufe, "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen", auf übelste Art und Weise in unzähligen osteuropäischen Fake-News-Kanälen missbraucht werden. Sie verstehen vermutlich die slawischen Fremdsprachen nicht, haben wahrscheinlich diese unkontrollierten Soziale Desinformationsmedien im Dienste des Kreml nie gelesen oder gesehen.

Die Meldungen mit anerkannten, alten, weißen Frauen und Männern aus dem Westen Europas untermauern die Argumente gegen die russische Kriegsschuld. Die Propaganda des Kreml freut sich riesig über die Rechtfertigungen für die völkerrechtswidrige Invasion. Manipulierte Erzählungen geben der Nato die Schuld an der Eskalation in der Ukraine, so wie behauptet wird, Putin würde durch westliche Panzerlieferungen provoziert, und ausschließlich die EU und die USA stünden dem Frieden im Wege und würden sich an den Sanktionen gegen die Russische Föderation bereichern.

Die populären Propagandaseiten fluten die verunsicherte Öffentlichkeit mit vielen unterschiedlichen, oft trivialen oder grotesken Erklärungen der komplexen Ereignisse, sodass diese das Gefühl hat, gar nichts mehr sicher zu wissen und keiner Quelle mehr vertrauen zu können. Die Sympathie für die Opfer von Butscha oder Irpin wird unmöglich gemacht.

Den Informationskrieg haben wir längst verloren

"Kompromisse auf beiden Seiten machen" und "Verhandeln heißt nicht kapitulieren", lese ich im "Manifest für Frieden" und traue meinen Augen nicht. Den Informationskrieg haben wir offensichtlich längst verloren. Die westlichen Staaten haben gegenüber russischen hybriden Bedrohungen die Geschlossenheit untereinander kaum gestärkt. Wie gut, dass Generalstabschef Georgi Schukow in Stalingrad gegenüber dem deutschen Oberbefehlshaber Friedrich Paulus nicht kompromissbereit war.

Der totale Krieg der Nazis war kein Krieg, sondern ein Völkermord. Der totale Friede wäre kein Friede, weil er den russischen Genozid rechtfertigen und dessen Fortsetzung zulassen würde. Der totale Friede wäre ein Verrat an der Ukraine, unser gemeiner Dolchstoß nach neun Jahren des russischen Angriffskriegs. Die Friedensstifter sollten vor den russischen Botschaften in ihren Hauptstädten demonstrieren und ihre Petitionen und Manifeste nicht an die Redaktionen westeuropäischer Medien schicken, sondern an den Kreml.