Vergangene Woche präsentierte Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein seine Vorhaben für eine Reform des Arbeitnehmerschutzrechts unter dem Motto "Mehr Schutz und weniger Bürokratie am Arbeitsplatz". Bei zwei wesentlichen Reformpunkten, nämlich der Anmeldung von Betriebsbesuchen der Arbeitsinspektoren und der Senkung der Mindesteinsatzzeiten von Arbeitsmedizinern und Sicherheitsfachkräften, gibt es bis jetzt keine Einigung mit den Sozialpartnern.
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Die Mindesteinsatzzeit soll von derzeit 1,5 bis 1,6 Stunden pro ArbeitnehmerIn und Jahr auf 1,2 Stunden gekürzt werden - eine durchschnittliche Reduktion von 20%, erklärt Bartenstein. Er spricht von einer "vernünftigen Vereinheitlichung", denn das bisher geltende System mit einer Staffelung nach Betriebsgröße hätte zu "krassen Verzerrungen" geführt: "Die bisherige Mindesteinsatzzeit bei Betrieben mit 999 MitarbeiterInnen beträgt 1,83 Stunden, bei einem Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten steigt diese auf 3,12 Stunden an." "Dieser Sprung ist nicht einzusehen", sagt auch ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat und verweist auf die nötige Anpassung an europaweite Trends (EU-Durchschnitt: 1,2 Stunden) im Sinne der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich. Eine Argumentation, die von der Industriellenvereinigung (IV) geteilt wird. Zudem seien laut IV Effizienz und Fachkenntnis der Betreuungsdienste für den Arbeitnehmerschutz von höherer Bedeutung als die rein quantitative Einsatzdauer.
"Bürokratische Auswüchse beseitigen"
Für die Wirtschaftskammer betont deren sozialpolitischer Abteilungsleiter, Martin Gleitsmann, dass es "um die Beseitigung bürokratischer Auswüchse" gehe. Regelungen, die von Arbeitgeberseite her akzeptiert werden, würden auch zu effizienterer Umsetzung und damit zu einer Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes führen.
Nicht glücklich mit Bartensteins Plänen ist Sozialsprecher Martin Gaugg vom Koalitionspartner FPÖ: Prävention habe in der Arbeitswelt "besondere Bedeutung", Arbeitsinspektorate sollen künftig zwar "ohne Amtskappeln", aber auch "ohne Aushöhlung der Rechte" agieren. Die Arbeitsinspektoren hätten sich schon bisher in vielen Fällen angemeldet, kontert Bartenstein, nur eben - "praxisfern" - ohne gesetzliche Deckung. Der "Zweck der Amtshandlung" dürfe nicht "beeinträchtigt" werden - weshalb bei akuter Gefährdung nach wie vor "selbstverständlich" unangemeldet kontrolliert werde. Er sieht das Arbeitsinspektorat der Zukunft als Service-Einrichtung und will eine vernünftige Kooperation mit den Unternehmern erreichen: "Wir befinden uns nicht in einer Arbeitswelt, in der ,Versteckerln' gespielt wird."
Eine wirksame Kontrolle werde "zahnlos" gemacht, kritisiert dagegen Arbeiterkammer-Chef Herbert Tumpel. Sollen die Betriebsbesuche des Arbeitsinspektors künftig "tunlichst" nach Anmeldung stattfinden, "so führt sich jegliche Kontrolle ad absurdum", sagt Alexander Heider, AK-Arbeitnehmerschutz-Experte. Denn unangemeldete Kontrollen sollten Missstände an den Arbeitsplätzen aufdecken: "Mit der neuen Usance können Gesetzesübertretungen verschleiert werden. Gefährliche Arbeitsvorgänge werden dann eben auf jene Zeit verlegt, wo der Arbeitsinspektor das Haus verlassen hat". Seiner Auffassung nach widerspricht dies sogar den Abkommen der ILO (International Labour Organization). Auch sieht Heider in der Überraschungskontrolle keine Schikane gegen Arbeitgeber, sondern ein probates Instrument, um krasse Situationen abzustellen.
So berichtet er von einem Fall, wo ein Arbeiter in ein Verzinkungsbecken stürzte, weil die Abdeckung fehlte. Der Mann erlitt durch das 420 Grad heiße Zink schwerste Verbrennungen. Laut Heider müssten Kontrollen ebenso verschärft werden wie Sanktionen. Bei einem EU-Vergleich der Strafmaßnahmen im Arbeitnehmerschutz zeige sich, dass nur in Österreich ausschließlich Geldstrafen vorgesehen sind. Als "interessante Variante" sieht Heider "Nebenstrafen", wie es sie etwa in Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal und Spanien gibt. Diese reichen von Subventionsverboten über Verbote der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen bis zu einer Übernahme der Verfahrenskosten inklusive Zeitaufwand des Aufsichtsbeamten, womit man "dem Verursacherprinzip erheblich näher kommen" würde - denn: "Warum sollen die Steuerzahler dafür aufkommen", fragt Heider.
Neue Gefährdung: Stressfaktoren
Bestürzt über die "Lockerung des Arbeitnehmerschutzgesetzes" zeigt sich auch Renate Czeskleba, Leiterin des ÖGB-Referates Humanisierung, Technologie und Umwelt. Erst durch ein strenges Reglement sei es gelungen, die Arbeitsunfälle zu senken: "Zwischen 1994 und 1998 gab es durch das damals neue Gesetz um 40.000 weniger. Seit 1998 ist diese Zahl wieder im Steigen", 1999 wurden 128.643 Unfälle bei der AUVA gemeldet: "Und just jetzt verlangt Minister Bartenstein, dass der Arbeitsinspektor erst um eine Termin ansuchen soll, bevor er den Betrieb kontrollieren darf". Sie wünscht sich mehr Schutz: Gerade in Zeiten, in denen der psychische Druck am Arbeitsplatz zunehme, müsse "der ÖGB-Forderung nach arbeitspsychologischer Betreuung entsprochen werden" - eine Forderung, der sich angesichts zunehmender Berufsstressfaktoren übrigens auch Artur Wechselberger von der Ärztekammer anschließt.