Das Gipfeltreffen zwischen Afrika und der Europäischen Union in Kairo war nicht nur eine Gelegenheit, die politischen Auseinandersetzungen zu normalisieren, sondern leider auch, die wirtschaftliche Lage durch die Entschuldung Afrikas zu verzerren. Afrika ist der einzige "Entwicklungskontinent", der - nach einer Wachstumsphase im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit (um 1960) - einen kontinuierlichen Niedergang des Pro-Kopf-Einkommens aufweist. Im Jahr 1950 machte das Pro-Kopf-Einkommen Afrikas 15 Prozent des Durchschnitts in den Industrieländern aus, heute beträgt es nur noch 9 Prozent. Nach allen verfügbaren Statistiken liegen die wirtschaftlichen Wachstumsraten der meisten afrikanischen Staaten unterhalb der Zuwachsrate der Bevölkerung.
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Die Verschuldung des Kontinents ist inzwischen auf 296,9 Mrd. Dollar (Stand von 1992) angewachsen, und entspricht 102,3 Prozent seines BSP, so dass, gemessen an seiner Wirtschaftskraft, Afrika der höchstverschuldete Kontinent ist.
Wessen Schuld ist es?
Schuld an dieser Misere sind sowohl die Afrikaner selbst, als auch die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Im industrialisierten Westen ist es leider Mode geworden, die Krise der afrikanischen Unterentwicklung fast völlig der afrikanischen Politklasse anzulasten, die sich für falsche entwicklungspolitische Strategien (Staatsinterventionismus in der Wirtschaft, sogenannte sozialistische Politik, Fehlen von Demokratie, etc.) entschieden habe.
Seitens der Afrikaner und einiger Analysten wiederum wird betont, dass dieser Kontinent nach wie vor von "außen" abhängig sei, und dass diese Situation den Aufbau einer selbstständigen Wirtschaft unmöglich mache.
Wie der Autor P. van Rensburg in seinem Werk "Blicke in die Zukunft. Demokratie und Frieden im Südlichen Afrika?" (Bielefeld, 1993) schreibt, sind die meisten afrikanischen Länder im Abhängigkeitsverhältnis der internationalen Handelsbeziehungen gefangen: Sie sind Lieferanten von Rohstoffen, die immer mehr im Preis sinken, und Käufer industrieller Erzeugnisse, deren Preise stetig steigen. Nicht die Elite besitzt oder kontrolliert die Wirtschaft; sie ist in ausländischen Händen. Dies ist eine der anhaltenden Folgen der kolonialen Intervention. Für die neuen Herrscher erwies sich dieses Muster bei der Unabhängigkeit als schwer zu durchbrechen, selbst falls sie dies wollten".
Rohstoffabhängigkeit
Neben der Verletzlichkeit, der Brüchigkeit, der strukturellen Schwäche und der fehlenden Dynamik leidet die afrikanische Wirtschaft vor allem unter großen Abhängigkeiten und sie ist, mit Ausnahme von Südafrika, nicht in der Lage, auf umstürzende Ereignisse in der Weltwirtschaft zu reagieren. Daraus folgt, dass Afrika im internationalen Handel weitgehend marginalisiert ist. Denn trotz der großen Abhängigkeit von nur wenigen agrarischen und mineralischen Rohstoffen ist Afrikas Anteil an der Weltproduktion dieser Stoffe zumeist unbedeutend.
Aus diesem Grund kann dieser Kontinent auch nur sehr geringen Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen. Im übrigen nimmt die Bedeutung der Rohstoffe auf dem Weltmarkt ohnehin durch Einsparungen, Recycling und synthetischen Ersatz ab, was eine kontinuierlich sinkende Nachfrage danach bedeutet. Die Folge ist, dass die Rohstoffproduzenten in einem harten Wettbewerb um Marktanteile stehen. Die Verschuldungskrise der Länder der "Dritten Welt" im Allgemeinen und Afrikas im Besonderen hat diesen Prozess weiter verschärft. Um Schulden zurückzahlen zu können, wurden die Förderkapazitäten erhöht. Die Folge war, dass die Preise noch weiter fielen. Versuche, durch Rohstoffabkommen zu einer Stabilisierung der Rohstofferlöse zu kommen, die seit 1974 immer wieder ergriffen worden sind, scheiterten jedoch am Widerstand der Industrieländer.
Geringe Diversifizierung der Produktionsstruktur
Neben der Rohstoffabhängigkeit leiden afrikanische Wirtschaften unter einer geringen Diversifizierung der Produktionsstruktur. Das führt in den meisten Fällen zum Phänomen des "perversen Wachstums". Darunter wird folgendes verstanden: Die hohen Wachstumsraten der Rohstoffeinnahmen führen zu stark steigenden Löhnen, was zur Folge hat, dass viele Menschen in diese Regionen abwandern, um dort Arbeit zu finden. Auch Kapital siedelt sich in diese Regionen an. Es entstehen Wachstumsinseln.
Automatisch tritt eine Schwächung der Landwirtschaft ein, wenn hier keine Produktivitätssteigerung stattfindet. Dies ist meistens nicht der Fall, weil der Staat die Landwirtschaft nicht unterstützt, denn er konzentriert sich ja gerade auf den Abbau der Rohstoffe. Steigen die Exporte immer stärker, hat dies hohe Wachstumsraten des Bruttoinlands-Produkts (BSP) zur Folge, wie in Liberia, Sambia und Zaire in den Sechziger- und Nigeria in den Siebzigerjahren, obwohl das Land verarmt.
In Folge wandert die aktive Bevölkerung ab, der Landwirtschaft werden die Arbeitskräfte entzogen. Alle staatliche Förderung geht in den Rohstoffsektor, mit dem sich Devisen erwirtschaften lassen und der die Staatsklasse ernährt. Mit den hohen Wachstumsraten beim Bergbau geht eine Erschöpfung der nicht-erneuerbaren Ressourcen einher. Fällt die Rohstoffproduktion und sinken die Rohstoffeinnahmen, gerät das exportorientierte Modell in die Krise wie heute in vielen afrikanischen Ländern wie etwa in Nigeria, Sambia, Zaire, Guinea, Liberia.
Strukturanpassung als Lösung des Kapitalmangels
Vielen afrikanischen Staaten mangelt es an Kapital: seit etwa 1980 wird der Anteil der ausländischen Direktinvestitionen nach und in Afrika wegen des ungünstigen Investitionsklimas immer geringer, und die Entwicklungshilfe ist nicht in der Lage, das fehlende privatwirtschaftliche Engagement auszugleichen. Diese Entwicklungen führten die afrikanischen Länder in eine Krise von ungekanntem Ausmaß. In manchen Fällen können die Schulden nicht mehr bezahlt werden, der Schuldendienst übersteigt in vielen Ländern die Exporteinnahmen.
Zur Herstellung der Zahlungsfähigkeit wurden von der Weltbank und vom IWF schließlich sogenannte "Strukturanpassungsprogramme" (SAPs) gefordert und auch in fast allen schwarzafrikanischen Ländern seit Anfang der Achtziger Jahre durchgesetzt.
Die SAPs dienen in erster Linie dazu, die Fähigkeit afrikanischer Länder wiederherzustellen, ihre Schulden zu begleichen. Sie umfassen aber auch Maßnahmen zur Rationalisierung der staatlichen Bürokratie. Konkret beinhalten sie zumeist:
- Wechselkursmaßnahmen (Abwertungen der Landeswährung),
- Maßnahmen zur Reduzierung des staatlichen Defizits (dazu gehören u.a. Steuererhöhungen, Kürzungen von Staatsausgaben, u.a. von Subventionen für Grundnahrungsmittel und öffentliche Dienstleistungen und die Erhöhung der Preise öffentlicher Leistungen),
- Maßnahmen zur Einschränkung der staatlichen Kreditexpansion,
- preispolitische Maßnahmen zur Begrenzung des Lohnanstiegs,
- Überprüfung von öffentlichen Investitionsprogrammen.
Letztendlich laufen SAPs darauf hinaus, die exportfähige Produktion zu steigern, damit die notwendigen Devisen zur Rückzahlung der Tilgungen und Zinsen erwirtschaftet werden. Dass damit die derzeitigen Wirtschaftsstrukturen stabilisiert werden und den afrikanischen Rohstoffländern eine Diversifizierung der Produktion faktisch unmöglich gemacht wird, ist offenkundig. Zumal die SAPs in allen Ländern in die gleiche Richtung gehen und zur Überproduktion auf den internationalen Märkten beitragen.
Die Folge: Die Preise gehen noch weiter zurück, und so bleibt auch das erhoffte "Stabilisierungswunder" aus. Mittlerweile wird diesen Misserfolg auch von den Initiatoren der SAPs selbst zugegeben, wie etwa von D. Kohnert in seinem Artikel "Wir sind alle abgewertet - Zur Anpassungskrise von Währung, Wirtschaft und Gesellschaft in der CFA-Zone" (Afrika-Jahrbuch 1993). Darin behauptet er, dass 1994 eine interne Weltbankstudie mit dem Titel "Warum die Strukturanpassung in Afrika gescheitert ist" veröffentlicht werden sollte, diese sei aber im letzten Augenblick wieder zurückgezogen worden, um keinen Skandal zu verursachen. Andere Analysten kamen zu dem Schluss, dass Länder mit SAPs nicht besser dastehen als solche ohne Programme.
Nach einem Weltbank-Ranking der 29 "Musteranpassungsländer" steht Ghana an der Spitze. Aber ein Blick auf die reichlich zu diesem Land vorhandene Literatur kann kaum Anlass sein, von einer Erfolgsstory zu sprechen: Durch die Strukturanpassung hat man beispielsweise so viele Lehrer entlassen, dass über 200.000 Schüler nicht mehr unterrichtet werden konnten. Auflagenbedingt sind Schulgebühren eingeführt worden, obwohl die Masse der Bevölkerung kein zusätzliches Geld für die Bildung ihrer Kinder aufbringen kann.
Für die Weltbank kann die Wirkung der SAPs auf die griffige Formel: "Leid in der Gegenwart" und "Hoffnung in der Zukunft" gebracht werden. Die Bank argumentiert immer wieder damit, dass die anfänglichen, von der Strukturanpassung ausgelösten Belastungen (z.B. Preissteigerungen nach einer Abwertung) durch nachhaltige positive Wirkungen (z.B. Einkommenssteigerungen ländlicher Produzenten) in der Zukunft weit kompensiert würden. Dies mag nach der internen Logik des ökonomischen Modells so sein, aber kann man sich auf eine solche Strategie einlassen, wenn die Zeitspanne und die Intensität dieser Belastungsphase ex ante nicht zu bestimmen sind?
Die Realität in Afrika zeigt, dass die Kontraktionsphase sehr lange anhält - die Investitionen sinken drastisch - und die Wachstumsphase auf sich warten lässt. Ist es da verantwortlich, eine sowieso schon verarmende Bevölkerung noch weiter zu belasten? Einsparungen in Afrika bedeuten ja vielfach, dass aus wenig nichts wird.
Vor diesem Hintergrund legte das Weltkinderhilfswerk UNICEF ein Gegenkonzept zu den SAPs mit dem Titel "Anpassung mit menschlichem Antlitz" vor, das aber ohne konkrete Folgen blieb. Darin werden eine Stärkung und Diversifizierung der Produktionskapazität in Afrika, die Verbesserung des Einkommensniveaus der Bevölkerung und der Verteilungsstruktur wie auch eine Anpassung der Struktur der Staatsausgaben zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung gefordert.
Diese Alternative zu den orthodoxen SAPs, die auch von den Staatschefs der Organisation for African Unity (OAU) im Jahre 1989 verabschiedet wurde, konnte bis heute nicht in die Tat umgesetzt werden.