Kongress- und Städtetourismus steht vor schwieriger Zukunft, neue Konzepte sollen Schrumpfprozess auffangen.
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Österreich, dieses Land am Strome mit seinen herrlichen Bergen und Seen, lebt nicht nur von den Hämmern und Äckern, also von Industrie, Handwerk und Landwirtschaft. Ein zentraler volkswirtschaftlicher Faktor ist das Geschäft mit Gästen von nah und fern. Die Pandemie hat der florierenden Tourismusbranche einen schweren Schlag versetzt, und der Sektor, der von Sars-CoV-2 am stärksten getroffen wurde, ist der Städte- und Kongresstourismus.
Dazu nur einige Zahlen: Bis 2019 fanden jährlich über 25.000 Seminare, Firmentagungen und Kongresse mit rund 1,8 Millionen Teilnehmern in Österreich statt, die 3,4 Millionen Nächtigungen nach sich zogen. Das klingt gemessen an den rund 150 Millionen Nächtigungen, die insgesamt in Österreich vor der Krise verzeichnet wurden, nicht nach besonders viel. Wenn man aber in Betracht zieht, dass jeder Kongressbesucher im Durchschnitt doppelt so viel pro Tag wie ein "normaler" Gast ausgibt, werden die Dimensionen deutlicher, zumal sich das Problem besonders in den Städten und hier alle voran in Wien, niederschlägt. Allein in der Bundeshauptstadt wurde auf diese Weise fast eine Milliarde Euro an Wertschöpfung geschaffen. Um der Branche in der aktuellen Situation Hilfestellung zu geben, hat die Bundesregierung einen Schutzschirm in der Höhe von 300 Millionen Euro für Veranstaltungen erarbeitet, die bis Ende 2022 durchgeführt werden.
Um die Zukunft der arg gebeutelten Tagungs- und Kongresslandschaft zu diskutieren, hat Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) den Chef der weltgrößten Fachmesse der Reisebranche ITB Berlin, David Ruetz, und Sabine Tichy-Treimel, die Leiterin der Dornbirner Messe und Sprecherin des heimischen Messeverbunds, zu einem Hintergrundgespräch im Rahmen des Forum Alpbach geladen. Dabei wurde schnell klar: Die Frage eines Zurück zu den seligen Tagen vor der Pandemie stellt sich erst gar nicht, die Branche befindet sich mitten in einem Veränderungsprozess.
So ungewiss wie die mittelfristige Zukunft gestaltet sich dabei auch die unmittelbare im bevorstehenden Herbst. Überlegungen von Experten und Politik, für Messen und Tagungen statt der etablierten 3G eine 1G- (Geimpft) oder 2G-Regel (Geimpft und Genesen) einzuführen, erteilt Tichy-Treimel eine Absage. Solche Unsicherheit erschwere die Planungen für den Herbst. Die Regierung muss sich allerdings erst noch auf die zu verschärfenden Maßnahmen einigen.
Dilemma Nachhaltigkeit
Ruetz und Tichy-Treimel sind sich einig, dass vor allem die großen Publikumsmessen künftig kleiner werden. "Wir werden uns daran gewöhnen müssen, künftig kleiner Brötchen zu backen", sagt Tichy-Treimel. Der Trend bei den Fachmessen geht zu einer hybriden Mischung von einem persönlich gebundenen spezifischen Wissenstransfer mit Erlebnischarakter, wie es ITB-Direktor Ruetz formuliert. Dies nicht zuletzt, um auch für die jüngeren Generationen wieder attraktiv zu werden. Als Ergänzung zu diesen persönlichen Netzwerktreffen werde es zahlreiche digitale Formate geben, mit denen bereits während der Pandemie aus der schieren Not heraus experimentiert wurde. Allerdings brauche es sehr zielgenaue Angebote, die, um von den Kunden auch angenommen zu werden, entsprechend moderiert werden müssten. Eine der wichtigeren offenen Fragen ist, ob sich das auch im erforderlichen Ausmaß Monetarisieren lässt.
Eine besondere Herausforderung für die Kongress- und Messebranche ist die Nachhaltigkeit. "Die ITB hat vor der Krise 160.000 Besucher aus 180 Länder nach Berlin gezogen. Die dabei verursachten CO2-Emissionen entsprechen dem einer mittleren Kleinstadt", erläutert Ruetz.
Neue Definition von Luxus
Die Langfristfolgen eines beruflich wie privat veränderten Reiseverhaltens werden unweigerlich auch die Städte zu spüren bekommen. Generell sieht ITB-Chef Ruetz eine Neudefinition von Luxus: statt immer größer, ausgefallener und internationaler gehe es in den oberen Preissegmenten von Hotelerie und Gastronomie in Richtung "kleiner, einfacher, persönlicher und regionaler". Auch Tourismusministerin Köstinger macht sich in die 5-Sterne-Liga keine großen Sorgen um deren wirtschaftliches Überleben; diese hätte sich mit teils innovativen Konzepten über die Pandemie gerettet. Dagegen kämpfe insbesondere das mittlere Leistungs- und Preissegment um die Existenz.
An der grundsätzlichen Bedeutung von Reisen und Kontakteknüpfen zweifelt aber Köstinger nicht wirklich; deren enormer Wert für Beruf und Persönlichkeitsentwicklung werde weiter bestehen bleiben.
Und ITB-Direktor Ruetz weist auch noch auf deren großen wirtschaftlichen Stellenwert für Schwellenländer in Form von Jobs und Wertschöpfung hin. Abzuwarten bleibt dann nur noch, wie sich die künftigen Emissionsregeln für Flugreisen auf deren Kosten auswirken werden - und was das wiederum für das Reiseverhalten bedeuten wird. Die Ungewissheiten werden auf jeden Fall nicht weniger in dieser Branche.