Der Kampf um Mossul geht in die dritte Phase. Der neue US-Verteidigungsminister Mattis will in Bagdad die Wogen glätten.
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Bagdad. Ein eisiger Wind fegte den Tigris entlang, als das Flugzeug mit James Mattis Montagfrüh in Bagdad landete. Der neue amerikanische Verteidigungsminister war gekommen, um einige Bedenken der Iraker aus dem Weg zu räumen und Schadensbegrenzung für seinen Chef, Donald Trump, zu betreiben. Dieser hatte im Präsidentschaftswahlkampf und nach seinem Amtsantritt mehrfach gesagt, die USA hätten während der achtjährigen Besetzung des Irak die Einnahmen aus dem irakischen Erdöl nutzen sollen, um ihre Militärausgaben zu finanzieren. Amerika habe immer für das Öl bezahlt, beschwichtigte Mattis und werde dies auch weiterhin tun. Ob er damit die Wogen zwischen Bagdad und Washington glätten konnte, bleibt abzuwarten.
Einreiseverbot erzürnt Irak
Denn schwerwiegender als die Aussage über das irakische Öl ist in den Augen der Iraker der von Trump verhängte Einreisestopp für sieben muslimische Länder, darunter auch Irak. Selbst wenn dieser zunächst ausgesetzt ist, kommt alleine die Unterschrift des neuen US-Präsidenten unter ein derartiges Dekret einer erneuten Demütigung für die Menschen im Zweistromland gleich. Während die Regierung von Premierminister Haidar al-Abadi sich noch in diplomatischer Zurückhaltung übt, wird der Zorn bei den Menschen auf der Straße offen ausgesprochen. Sie sehen die Amerikaner mitschuldig an dem derzeitigen Chaos in ihrem Land, den Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat und die ethnische und religiöse Spaltung der Volksgruppen. "Und dann dürfen wir noch nicht mal in die USA reisen?"
In der ersten Aufregung wurden Stimmen im irakischen Parlament laut, im Gegenzug Bürger der USA die Einreise in den Irak zu verweigern. Der Besuch des Pentagonchefs in Bagdad erfolgte einen Tag nachdem eine neue, dritte Phase der Militäroperation zur Rückeroberung von Iraks ehemals zweitgrößter Stadt Mossul im Norden des Landes begann.
Während in den vergangenen vier Monaten Gebiete rings um die Stadt und der Osten Mossuls befreit wurden, begann am Sonntagmorgen nun der Angriff auf den Westteil der Stadt. Die USA sind hierfür ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen IS. Wie lange noch, fragt man sich in Bagdad.
Eine von Washington angeführte internationale Koalition fliegt Luftangriffe gegen die Terrormiliz. Die US-Armee bildet zudem irakische Soldaten aus. Zunächst erobern irakische Einheiten Dörfer im Süden Mossuls, um dann auf den Flughafen der Stadt vorzustoßen, der im Südwesten liegt. Der Westen der Stadt ist noch fast vollständig in der Hand des IS.
An den Einsätzen am Wochenende waren auch einige Soldaten der internationalen Anti-IS-Koalition beteiligt, die rund 9000 Soldaten zählt, darunter die Hälfte aus den USA. Die IS-Terroristen hatten 2014 weite Teile des Irak erobert.
Der Fluss Tigris trennt Mossul in einen östlichen und einen westlichen Teil. Der Osten konnte von den Regierungstruppen und der internationalen Allianz vor knapp einem Monat zurückerobert werden. Das irakische Fernsehen zeigt Fußballspiele der Kinder in Mossul, Menschen die in ihre Häuser zurückkehren, erste Aufräumarbeiten. Eigentlich wollte al-Abadi in drei Monaten mit der Operation in Mossul fertig sein. Vorsichtigere Prognosen sprachen von sechs Monaten. Beide bewahrheiten sich nicht. Der Kampf um die Stadt im Nordirak ist langwieriger und blutiger als gedacht. Das Ende der Terrormiliz und ihres selbst proklamierten Kalifats im Irak ist noch nicht in Sicht, entscheidet sich aber in Mossul, 356 Kilometer nördlich von Bagdad. Fällt Mossul, verliert der IS die größte Stadt, die je unter seiner Kontrolle war.
Wohnung nicht verlassen
Die neue Offensive verstärkt die Sorgen um die Zivilbevölkerung in West-Mossul, deren ohnehin prekäre Lebensbedingungen sich durch die bevorstehenden Kämpfe oder eine Belagerung nochmals verschlechtern dürften. Die Vereinten Nationen rechnen mit einer Massenflucht. "Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit, um südlich von Mossul Notunterkünfte für vertriebene Familien zu errichten", erklärt die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Irak, Lise Grande. Die UNO schätzt, dass bis zu 750.000 Zivilisten im Westteil der Stadt eingeschlossen sind, die Kinderschutzorganisation "Save The Children" spricht von etwa 350.000 Kindern. Für die meisten Familien sei eine Flucht zu gefährlich, sagt der Irak-Beauftragte der Organisation, Maurizio Crivallero. Es gebe Scharfschützen und Landminen, und falls die Flüchtenden entdeckt würden, drohe ihnen die Hinrichtung durch IS-Kämpfer. Deshalb rief die Armee die Einwohner auf, in ihren Häusern zu bleiben. Entsprechende Flugblätter wurden über der Stadt abgeworfen. UN-Koordinatorin Grande bezeichnet die Operation als "größte städtische Militäroperation seit dem Zweiten Weltkrieg".
Abschlachten wie in Aleppo?
Doch es ist nicht der Zweite Weltkrieg, der wie ein Horrorszenario über Mossul hängt, sondern das syrische Aleppo. Obwohl dort nicht der IS die Kontrolle über die ebenfalls zweitgrößte Stadt hatte, ist die Situation der Zivilbevölkerung doch vergleichbar mit Mossul. Auch Aleppo war zweigeteilt, die Menschen waren eingekesselt, ohne Nahrung, Wasser und Strom. Russische Flächenbombardements nahmen keine Rücksicht auf Zivilisten. "Das große Abschlachten" wurde die Schlacht um Aleppo genannt. Das will man im Irak unter allen Umständen vermeiden. So betonte Premier Abadi im gleichen Atemzug mit der Ankündigung der Offensive zur Rückeroberung von West-Mossul, man werde Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Die Offiziere der Armee seien entsprechend geschult worden. Ihre Geduld könnte aber irgendwann einmal zu Ende sein, wenn der Vormarsch zum Stillstand kommt und sich Stellungskämpfe festfahren. Das Problem ist: Im irakischen Mossul leben drei Mal so viele Menschen wie einst in Aleppo.