Hamburg - Krawalle, Demonstrationen und ein Sprengstoffanschlag - die Ausstellung über Verbrechen der NS-Wehrmacht hatte von 1995 bis 1999 in Deutschland und Österreich Streit und Gewalt ausgelöst wie kaum eine andere Geschichtsschau. 850.000 Besucher sahen das Projekt des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Jetzt, zwei Jahre später, öffnet eine neue Wehrmachtsausstellung am 28. November in Berlin erstmals ihre Pforten.
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Neonazis, aber auch frühere Soldaten sahen die Wehrmacht verunglimpft. Im deutschen Bundestag kritisierte die CDU/CSU-Opposition die ihrer Meinung nach einseitige Dokumentation von Kriegsverbrechen. Eine Historikerkommission stellte schließlich sachliche Fehler fest - auf einigen wenigen von 1400 gezeigten Fotos waren Verbrechen sowjetischer Truppen als Taten der Wehrmacht dokumentiert. Institutsleiter Jan Philipp Reemtsma stoppte die Schau.
Bei dem neuen Projekt handelt es sich nicht um eine Überarbeitung, sondern um eine "komplett neue Ausstellung", wie die Sprecherin des Ausstellungsteams, Ulrike Jureit. mitteilt. Sie war zusammen mit Reemtsma federführend bei der Konzeption. Ein neues Team setzte die Planung um und ein wissenschaftlicher Beirat unter dem Vorsitz des Historikers Hans Mommsen überprüfte die einzelnen Abschnitte.
"Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" - so lautet der neue Titel. Die Ausstellung hält an der Kernthese der früheren Dokumentation fest: Die Wehrmacht war an der Planung und Durchführung eines beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieges "umfassend beteiligt".
Mommsen und Jureit betonen, dass die Schau durch ihre wesentlich umfassendere Aufbereitung historischer Dokumente, einer thematischen Erweiterung und Vertiefung sowie durch deutlich weniger, aber auch neue Fotos eine noch weitergehende systematische Verstrickung der Wehrmacht in den Vernichtungskrieg nachweist als bisher feststellt.
Handlungsspielraum
Die Wehrmacht sei zwar nur eine von verschiedenen Institutionen im Vernichtungskrieg gewesen, aber "eine entscheidende", resümiert Jureit. Im neuen Bereich "Handlungsspielräume" werde an Beispielen unterschiedliches Verhalten bei gleicher Befehlslage dokumentiert. So habe ein Bataillonsführer drei untergebenen Kompanieführern in drei sowjetischen Orten befohlen, die jüdische Bevölkerung zu erschießen. "Alle drei haben unterschiedlich reagiert." Einer habe den Befehl kommentarlos ausgeführt, der zweite habe sich lange mit einem Untergebenen beraten, sich den Befehl nochmals schriftlich bestätigen lassen, dann jedoch die Anweisung ausgeführt. Der dritte habe den Befehl verweigert mit dem Hinweis, es gebe in dem Ort nur noch Kinder, Frauen und alte Männer, die keine militärische Gefahr seien. Dies habe für den Offizier keine Konsequenzen gehabt.
Daraus dürfe man aber nicht den Schluss ziehen, dass jeder Soldat beliebige Handlungsmöglichkeiten gehabt habe, betont Jureit. Es habe viele situationsabhängige Entscheidungen gegeben. Quantitativ lasse sich nicht mehr feststellen, wie viele Soldaten an Kriegsverbrechen beteiligt waren oder diese aber verweigerten. Pannen hofft man diesmal durch besondere Sorgfalt vermieden zu haben.