Sachsens Ruf leidet unter den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Ein Lokalaugenschein.
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Bautzen/Pirna. "Was, zu den Nazis willste?" "Nach Sachsen? Pass bloß auf dich auf!" "In Dresden übernachten? Dresden sollte man boykottieren. Soll Pegida doch sehen, was es davon hat!"
Auch wenn nicht alle Aussagen todernst gemeint waren: Berliner Bekannten fällt es dieser Tage schwer, ein gutes Wort zu Sachsen zu finden. Demonstrationen von Rechtsextremen, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, Angriffe auf Geflüchtete. Jahrelang sammelten sich zudem am 13. Februar Neonazis aus ganz Europa in Dresden, um "ruhig und würdevoll" - wie es ein Leserbriefschreiber formulierte - der Luftangriffe 1945 zu "gedenken". Und im vergangenen Jahr gingen an manchen Tagen bis zu 25.000 "Pegida"-Anhänger auf die Straßen. Journalisten werden von den selbst ernannten Patriotischen Europäern beschimpft. Und Kolleginnen und Kollegen, die sich intensiv mit Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremen Strukturen befassen, erhalten Drohungen.
Auf dem Weg nach Bautzen. Vor wenigen Wochen jubelten hier Menschen, während ein Haus brannte, das als Flüchtlingsheim vorgesehen war. Ob man irgendwo in Bautzen vorsichtiger sein müsse? "Wegen der Ausländer?", antwortet eine Frau und schnaubt abfällig.
Keine No-Go-Areas
Bautzens parteiloser Bürgermeister Alexander Ahrens bleibt ruhig, als er die Geschichte hört. Er kennt das Vorurteil, Flüchtlinge würden stehlen, Frauen belästigen und seien überhaupt eine Gefahr für den allgemeinen Wohlstand. Den Satz der Frau sieht er aber "insofern als bezeichnend, als dass wir keine No-Go-Areas in der Stadt haben" und meint damit: In Bautzen gibt es keine Viertel, die man besser wegen Neonazis meiden sollte.
"Nazis raus" hat jemand auf eine Mauer vor einem sanierten Altbau in einer gepflegten Straße gesprüht. Zu sehen ist die Botschaft auf dem Weg vom Bahnhof in die Stadt. Freundlich wird man von Passanten ins Zentrum gelotst. Man schäme sich für das, was passiert sei, ist zu hören. Der erste Eindruck von Bautzen: ruhig, bürgerlich, wohlhabend.
Bei der Landtagswahl 2014 gaben 10,8 Prozent der Bautzener Wähler ihre Stimme der NPD. Die "Alternative für Deutschland" (AfD) erhielt 14,3 Prozent. Immer wieder gebe es Demonstrationen von Rechtsextremen, sagt Manja Gruhn vom Verein "Bautzen bleibt bunt". Auch Daniela Stamm meldet Demonstrationen an. Die Bautzener Stadträtin war bis 2014 NPD-Mitglied und arbeitet jetzt für die junge Partei "Die Rechte".
Nach einer Demonstration von Rechtsextremen seien Gegendemonstranten von Kleingruppen aus der Szene verfolgt und gejagt worden, sagt Gruhn von "Bautzen bleibt bunt" und berichtet außerdem von den Protesten gegen die erste Flüchtlingsunterkunft, die außerhalb der Stadt liegt. Neonazis hätten gegen den Zaun uriniert und Flaschen geworfen.
Abgesagte Touristenbesuche
Von Hass und Gewalt ist nichts zu spüren, wenn man durch den beschaulichen Stadtkern spaziert. Ein kurzes Stück vom Zentrum entfernt steht die zerstörte Flüchtlingsunterkunft. Die Erzählungen über Rechtsextreme und die Bilder des geplanten Heimes setzen sich im Kopf fest. Ist die Stadt gespalten? Einige Befragte überlegen eine Weile und sagen schließlich: "Ja, schon." Aus dem Rathaus heißt es, es hätten bereits Touristen ihren Besuch abgesagt. Es gebe doch aber auch viele engagierte Bürger. "Wir lassen uns unsere Stadt nicht von einigen wenigen Hohlköpfen kaputtmachen", sagt der Bürgermeister.
Die 30 Kilometer von Dresden entfernte Stadt Pirna ist vielleicht noch eine Spur idyllischer als Bautzen. Man kann hier wunderbar durch die alten Gassen schlendern, Buchteln - eine der regionalen, aus Böhmen importierten Spezialitäten - probieren und an der Elbe spazieren. Ja, es gebe auch in Pirna Rechtsextreme, sagt eine Frau und berichtet von Drohungen gegen den Oberbürgermeister und von Anschlägen auf das Büro der Linkspartei sowie auf das Alternative Kulturzentrum.
Einem Bewohner, der bunte Bänder als Willkommenszeichen für Flüchtlinge ins Auto gehängt habe, habe man die Luft aus dem Fahrzeug gelassen. "Wir haben hier aber keine Neonazis, die in Truppen aufmarschieren." Besonders "schlimm" findet sie jene Bewohner, die gleichgültig seien, kein Zeichen setzten, für die das Wichtigste sei, in Ruhe gelassen zu werden. Fürchten brauche man sich in Pirna nicht, sagt sie noch und ruft zum Abschied hinterher: "Keine Angst!"