Es geht um die Grundfesten der Demokratie, nicht um Türken gegen Kurden.
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Die Bundes-ÖVP fand überraschend klare Worte. Die Vorkommnisse in Favoriten seien inakzeptabel, Österreich verbitte sich jegliche landesinterne Mobilmachungen für internationale, sprich außerstaatliche Angelegenheiten. Und überhaupt: "Wer hier ein Terrorist ist, das bestimmen immer noch wir."
Die Reaktion der türkis-grünen Bundesregierung auf Interventionsversuche seitens der Türkei war in mehrfacher Hinsicht beachtlich. Seit Mittwoch vergangener Woche schwelt im 10. Bezirk ein Konflikt zwischen faschistischen, nationalistischen, türkischstämmigen Gruppierungen auf der einen und - zunächst - kurdischen Frauen, später antifaschistischen, linken Gruppierungen auf der anderen Seite.
Während die Türkei der Meinung ist, dass Österreich hier PKK-Terroristen (die PKK, also die kurdische Arbeiterpartei, findet sich auf der auch EU-intern durchaus umstrittenen EU-Terrorliste, Anm.) Platz für Propaganda biete und türkischstämmige Wienerinnen und Wiener mit einer derartigen Haltung geradezu provoziere, beharrt das offizielle Österreich, allen voran ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg, darauf, dass in einer Demokratie Platz für freie Meinungsäußerung bestehen würde. Und zwar ganz egal, wie viele Botschafter wohin auch immer beordert werden.
Während sich die EU im Umgang mit der Türkei präventiv schon mal die Glacehandschuhe überstülpt, holt Österreich selbstbewusst den Vorschlaghammer raus. De facto ändert das freilich nur bedingt etwas an den Realitäten, aber der daraus resultierende Publicityeffekt ist unbezahlbar. Denn erstens hat man vorerst keine Wahl zu schlagen, und zweitens spielen die türkisch-stämmigen Österreicher, immerhin rund 71.000 Menschen, für diese Partei keine Rolle - auch wenn es auf kommunaler Ebene, und da vor allem in Westösterreich (auch bei der FPÖ), mitunter Überschneidungen zu radikalen, türkischen Communitys gibt. "Austro-Türken", so die wenig aussagekräftige Bezeichnung für diese Zielgruppe, die ÖVP wählen, tun das aus handfesten wirtschaftsliberalen Gründen, und nicht, weil ein ÖVP-Innen- und Außenminister der Türkei gerade die Stirn bietet.
Jede Stimme zählt
Ganz anders freilich gestaltet sich die Situation in Wien. Hier wird am 11. Oktober gewählt. Hier zählt jede Stimme. Also auch jene der mehr als 30.000 türkischstämmigen Österreicherinnen und Österreicher. Dass sich die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) als erste Stadtpolitikerin in der Causa zu Wort meldete, war nicht weiter erstaunlich. Hebein, die aufgrund ihrer Historie keinerlei Zweifel an ihrer antifaschistischen Haltung lässt, nahm man es auch ab, dass es ihr tatsächlich ein Anliegen war, sich aktiv dem Demozug der Antifaschistinnen und Antifaschisten anzuschließen. Daran gestoßen haben sich die Wiener ÖVP und die Wiener FPÖ. Beide forderten Hebein postwendend zum Rücktritt auf.
Die Grünen betreiben hier "Microtargeting": Auf den diversen kommunalen, aber auch Landes- und Bundeslisten finden sich immer wieder Repräsentantinnen und Repräsentanten von "Minderheiten" als Wählerangebot. Und derzeit sind das in erster Linie linke Kurdinnen mit großteils akademischen Background. Diese Zielgruppe fiel den Grünen quasi in den Schoß, nachdem sich die SPÖ, die bis vor kurzem keine Berührungsängste mit marxistisch-leninistischen Gruppierungen, wie u.a. auch der PKK, an den Tag legte, mit ihrer Orientierung gen gesellschaftlicher Mitte, derlei Aktivistinnen und Aktivisten verbannte.
Dass man dann, wie etwa die oberösterreichische, allen voran die Linzer SPÖ, letztendlich bei den Grauen Wölfen, also jener Gruppierung, der die Unruhen in Favoriten zugeschrieben werden, landete, wurde auf Wiener Ebene zwar immer schon wortreich dementiert, so ganz konnte man sich dieses Odeurs allerdings nie entledigen. So soll es "früher" durchaus Usus gewesen sein, dass Splittergruppen der Grauen Wölfe aktiv an Kundgebungen der Wiener SPÖ beteiligt waren, auch von der Überlassung von Parteilokalen und der finanziellen Unterstützung sportlicher und kultureller Aktivitäten aus dem Dunstkreis der stramm-rechten Bewegung war die Rede.
Nähe zur SPÖ
Gerne verweist man seitens der SPÖ Wien auf den blamablen Auftritt des damals noch bei der Wiener FPÖ aktiven Johann Gudenus, der angesichts einer 1.-Mai-Kundgebung vor drei Jahren faschistische Fahnenschwenker ausfindig gemacht haben wollte. Das Problem dabei: Bei den Fahnenschwenkern handelte es sich um Kemalisten, genauer gesagt um Anhänger der Cumhuriyet Halk Partisi (CHP), einer sozialdemokratischen Partei, mit der die SPÖ auch auf internationaler Ebene kooperiert. Die von Gudenus ebenfalls in den sozialen Medien präsentierten türkischen Fahnen stammten indes von der 1.-Mai-Feier in Linz, wo man, so Thomas Rammerstorfer, Sachbuchautor, Grauer-Wölfe-Experte und demnächst Grüne-Kandidat in Oberösterreich, den Absprung von rechten Gruppierungen noch nicht ganz geschafft habe. Allerdings, so Rammerstorfer, würden die Kemalisten bei Wahlen im In- und Ausland keine Rolle spielen.
Eine ganz andere Nummer sei da schon der Auftritt des ehemaligen SPÖ-Kanzlers Christian Kern gewesen. 2017, am letzten Tag vor dem Wahlgang, fand sich Kern in einem türkischen Lokal in Ottakring ein, um dort vor Anhängern der Adalet ve Kalknma Partisi (AKP), der Partei des amtierenden türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, noch einmal Stimmung für die SPÖ zu machen. Zu spät für Tageszeitungen, diesen Auftritt in ihrer Berichterstattung zu berücksichtigen, aber noch rechtzeitig für die Zielgruppe, so der Buchautor.
Laut Rammerstorfer sei dieses ambivalente Verhältnis zu den radikalen Strömungen in der politischen Community auch ausschlaggebend dafür gewesen, dass Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in seiner ersten Stellungnahme zur Causa Favoriten alles andere als klare Worte fand. "Weder erwähnte Ludwig die grauen Wölfe, noch die Kurden, noch den Schauplatz der Ereignisse, und schon gar nicht den aktuellen Bezug", so Rammerstorfer.
Ausgerechnet Rammerstorfer räumt bei dieser Gelegenheit auch gleich mit einer weiteren Social-Web-Legende auf. Er spielt auf das Foto an, das Kurz in Oberösterreich Ende September 2017 umrundet von vier Jugendlichen zeigt, von denen drei den Wolfsgruß zeigen. Die Jugendlichen, die darauf zu sehen sind, seien allesamt "Bauernschädeln" aus der Gegend. Kein türkischer Migrationshintergrund, mutmaßlich ÖVP-Wähler, und mutmaßlich auch keine Ahnung davon, wer die Grauen Wölfe sind.