Prognosequalität deutlich gesunken. | Analysemodelle können nur langsam angepasst werden. | Wien. Angesichts der seit Monaten anhaltenden Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten hätte so mancher Investoren guten Rat bitter nötig. Solchen gibt es im Moment allerdings nur in sehr eingeschränktem Maße: Selbst viele gewiefte Analyse-Profis von Banken und Brokerhäusern sind mit ihrem Börsenlatein am Ende.
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Seit Jahresbeginn sei der Anteil richtiger Analystenempfehlungen dramatisch gesunken, erklärt David O´Hara vom Londoner Institut AQ Research, das die Leistung von europäischen Finanzanalysten bewertet. In den zwölf Monaten vor September 2007 hätte man noch mit den Empfehlungen sämtlicher 28 Brokerhäuser, die in Europa börsenotierte Großunternehmen analysieren, Geld verdienen können. Nach einem Jahr Finanzkrise sei dies nur mehr bei weniger als 50 Prozent der Analyseinstitute möglich. O´Hara führt das im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" darauf zurück, dass viele Aktienanalysten ihre Empfehlungen zu spät nach unten korrigiert hätten.
Problematische Bindung
Letzteres bestätigt auch Paul Severin, Präsident der Österreichischen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset-Management (ÖVFA). Einerseits habe sich die negative Grundstimmung in Folge der Finanzkrise schneller auf den Aktienmarkt durchgeschlagen, als Analysten ihre Rechenmodelle anpassen konnten. Darüber hinaus sei es, so Severin, normalerweise gar nicht möglich, derart extreme Änderungen der Rahmenbedingungen in diesen Modellen abzubilden.
Andererseits wird gerade in Krisensituationen die enge Bindung der Analysten an die analysierten Unternehmen zum Problem: Im Allgemeinen profitieren laut dem ÖVFA-Chef Analysten vom regen Austausch mit den jeweiligen Finanzvorständen oder Investor-Relations-Abteilungen. Allerdings wollen manche Unternehmen negative Extremsituationen zunächst nicht wahrhaben und spielen diese gegenüber den Analysten herunter. Letztere wiederum sind ohnehin eher geneigt, bis dato bewährte Rechenmodelle nicht gänzlich über den Haufen zu werfen, sondern wollen diese lieber nach und nach anpassen.
Vorsicht geboten
Laut AQ Research sind derzeit auf alle Fälle jene Analysten besser unterwegs, die pessimistischere Prognosen treffen. Allerdings ist hierbei Vorsicht geboten. Erst Mitte Juli hat eine amerikanische Bank einen prominenten Analysten, der einen kritischen Bericht veröffentlicht hatte, wegen angeblicher Diffamierung und mangelnder Sorgfalt verklagt. Grund dafür: Er habe der Bank zu Unrecht finanzielle Probleme unterstellt.
In Österreich setzt die Finanzmarktaufsicht unter anderem Unabhängigkeit, Objektivität und Offenlegung der Analysemethoden voraus. Interessenskonflikte mit anderen Abteilungen der jeweiligen Bank sind zu vermeiden. Eigengeschäfte der Analysten mit Aktien von ihnen analysierter Unternehmen müssen transparent gemacht werden.
Neben Kaufempfehlungen geben Analysten auch Kurs- und Gewinnschätzungen ab. Vor allem letztere werden laut Severin von Investoren sehr stark beachtet. In Österreich gibt es etwa 25 Finanzanalysten, die nicht nur für die Aktienhändler ihres eigenen Institut tätig sind, sondern ihre Studien auch veröffentlichen. Laut AQ sitzen die drei besten heimischen Analysten der vergangenen zwölf Monate bei der Raiffeisen Centrobank (Roman Herzog) und bei der Erste Bank (Christoph Schultes und Martina Valenta).