Grüne wollen verbindliche Ziele. Unzufriedenheit bei Gemeinden, Ländern und Landwirtschaftsministerium.
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Eineinhalbmal größer als Wien ist die Fläche, die Österreich in den vergangenen 13 Jahren zu viel verbraucht hat. Das sind hochgerechnet knapp 595 Quadratkilometer. Seit 2010 sollte Österreich täglich nämlich nur 2,5 Hektar an Boden verbrauchen, doch man ist weit davon entfernt. Niederösterreich alleine liefert einen Wert von 2,9 Hektar. Pro Tag. Die österreichische Raumordnungskonferenz (Örok) erarbeitete in den vergangenen 20 Monaten deshalb eine Bodenstrategie zur Reduktion des Bodenverbrauchs. Bis 2030 will man den Zielwert erreichen, den sich der Bund vor 20 Jahren selbst vorgegeben hatte. Am Dienstag hätte sie beschlossen werden sollen. Darauf einigen konnte man sich am Ende aber nicht. Die Grünen wollten in der Strategie verbindliche Ziele festgeschrieben haben. Gemeinden, Länder und Landwirtschaftsministerium wollten die erst in einem nächsten Schritt erarbeiten. Jetzt wird es Monate dauern, bis es zu einer Einigung kommen wird.
Kurzfristige Blockade
Vor der Sitzung am Dienstag meinte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) noch, dass man nur noch einzelne Sätze adaptieren müsse. Da war der Widerstand der Grünen schon bekannt. Am Vortag hatte etwa Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) angekündigt, die Regierung werde sich mit dem "verkrusteten Föderalismus" und manchen Ländern mit Blockadehaltung anlegen. Die Umweltsprecherin der Grünen, Astrid Rössler, wollte noch an notwendigen Verbesserungen arbeiten, es sei klar, dass der jetzige Entwurf zur Bodenschutz-Strategie aus Sicht der Grünen noch nicht ausreiche, sagte sie im Vorfeld der Sitzung am Dienstag. Später meinte Kogler, dass man bei "konkreten und wirksamen Zielen" zustimmen werde. Die anderen Örok-Mitglieder gingen dennoch davon aus, dass eine Einigung am Dienstag möglich sein würde.
Dementsprechend schlecht waren Totschnig und der burgenländische Landesrat Heinrich Dorner (SPÖ) im Anschluss bei einem Hintergrundgespräch auf Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zu sprechen. In der Örok seien alle Ministerien vertreten gewesen, die Bedenken erst kurz vor der Sitzung geäußert worden. Totschnig will, dass die Örok die "nächsten Wochen und Monate" nun nützt, um die Strategie zu finalisieren. Dazu wird eine neue Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, in der Vertreter der Länder, des Bundes, der Städtebund und der Gemeindebund sitzen.
Eine unendliche Geschichte
Dass der Boden geschützt werden soll, ist weder neu noch eine geheimwissenschaftliche These. Boden ist eine endliche Ressource, an die von verschiedenen Akteuren unterschiedlichste Anforderungen gestellt werden. So braucht die Landwirtschaft fruchtbare Ackerböden, um Nahrungsmittel zu produzieren. Städte wollen leistbaren Wohnraum schaffen. Gemeinden brauchen Gewerbegebiete und Infrastruktur, sind doch Steuereinnahmen aus dem Finanzausgleich daran gebunden. Außerdem helfen intakte Böden, die Folgen der Klimakrise abzufedern und die Biodiversität zu erhalten, weiters sollen sie den Menschen Erholungsraum bieten. Seit 2002 ist das Ziel, 2,5 Hektar - statt derzeit 11 bis 13 Hektar - täglich zu verbauen in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes festgeschrieben.
Auf den Boden gebracht wurde das bisher nicht. Dabei fordert die EU in ihrer Bodenschutzstrategie, dass es bis 2050 überhaupt keinen Nettoflächenverbrauch mehr gibt. Dafür sollten die Mitgliedstaaten bis 2023 ihre "eigenen ehrgeizigen nationalen, regionalen und lokalen Ziele zur Verringerung des Netto-Flächenverbrauchs bis 2030 festlegen".
Mit den Grünen in der Regierung wurde das Ziel ambitionierter angegangen, der Bereich Brachflächenmanagement, der bei Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) ressortiert, ist seit Herbst 2022 wie von der Österreichischen Raumordnungskonferenz im November 2021 vorgesehen auf Schiene. Seit der Übernahme des Landwirtschaftsressorts durch Totschnig von seiner Vorgängerin Elisabeth Köstinger verzögerte sich die Präsentation der gleichfalls im November 2021 für Herbst 2022 angekündigten Bodenschutzstrategie immer weiter.
Bei jeder Nachfrage im Landwirtschaftsministerium hieß es, dass noch weiter verhandelt werden müsse, um "die regionalen Gegebenheiten zu berücksichtigen und gemeinsam mit Ländern und Interessensvertretungen eine zufriedenstellende Strategie auszuarbeiten". Aus Herbst wurde Spätherbst 2022, wurde Jahresende, dann Ende des ersten Quartals 2023, daraus wurde zuletzt "im ersten Halbjahr". Nun werden weitere Monate vergehen. Gearbeitet und diskutiert wird aktuell mit einem Entwurf, der aus dem Jänner stammt.
Boden unter den Füßen verloren
Entwürfe, die zuvor schon an die Öffentlichkeit gelangten, wurden von Umweltschutzorganisationen, allen voran dem WWF, scharf kritisiert. So sprach die NGO angesichts des Entwurfs im Februar dieses Jahres von einer "politischen Kapitulation vor dem Flächenfraß". Diesem sind seit dem Jahr 2000 laut dem Bodenreport des WWF 1.300 Quadratkilometer zum Opfer gefallen, "das ist mehr als dreimal die Fläche Wiens", erklärte der Bodensprecher der NGO, Simon Pories, bei der Präsentation Ende Mai. Pro Minute verschwanden demnach 120 Quadratmeter Boden für Einkaufsmärkte, Parkplätze, Straßen, Gewerbegebiete und Logistikzentren unter Beton. Schuld daran seien unverbindliche Bodenschutz-Vorgaben und finanzielle Anreize, die Verbauung fördern.
Selbst das 2,5-Hektar-Ziel soll einer "Plausibilisierung" unterzogen werden, da noch unklar ist, was hier miteinberechnet werden soll. Auch sollen viele Maßnahmen erst bis 2025 und darüber hinaus vorbereitet werden, die wichtige Anpassung der finanziellen Anreize gar erst bis 2029. Von all den Maßnahmen, die in der Bodenstrategie für 2030 festgeschrieben worden sind, soll nur in einem Bereich schon dieses Jahr etwas stattfinden: die Öffentlichkeitsarbeit.