"Es ist nicht verboten, etwas zu tun, was nicht in der Verfassung steht."
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Wien. Umfrage, Bürgerumfrage, Anrainerumfrage, Volksumfrage, Befragung, Volksbefragung. Die Begriffe rund um die ab 17. Februar von der Stadt durchgeführten Abstimmung zum Umbau der Mariahilfer Straße werden wie Jonglierbälle in die Luft geworfen und sorgen für Verwirrung. Vor allem dann, wenn es darum geht, wer denn in dieser heiklen Angelegenheit mitstimmen darf und wer nicht. Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou hat sich für zwei Bezirke entschieden und dafür, dass auch EU-Bürger mitstimmen dürfen. Das dürften sie nicht, wäre es eine Volksbefragung. Als solche sieht sie Verfassungsexperte Heinz Mayer - die "Wiener Zeitung" hat berichtet.
Die Befragung zur Mariahilfer Straße enthält buchstäblich keine Frage, sondern ist ein Multiple-Choice-Test zum Ankreuzen. "Die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße soll beibehalten werden" oder "Die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße soll rückgängig gemacht werden", stehen zur Auswahl. Bei einer Volksbefragung ist laut Verfassung geregelt, dass die Frage, die Gegenstand einer Volksbefragung ist, mit Ja oder Nein beantwortet oder die gewählte Variante eindeutig bezeichnet werden kann. Rein inhaltlich und formal unterscheidet sich die Umfrage in diesem Fall nicht von einer Volksbefragung.
Politologen und Verfassungsexperten denken derzeit darüber nach, wie diese Art der Befragung zur größten Einkaufsstraße Österreichs nun zu bewerten ist. Denn klar ist, dass es diese Form der Bürgerbeteiligung auf Gemeindeebene noch nicht gegeben hat. Der Gemeinderat habe den Magistrat beauftragt, "eine Volksumfrage in zwei Bezirken" durchzuführen. "Exakt in dieser Form" habe es das noch nicht gegeben, hieß es aus dem Verfassungsdienst der Stadt. Auf dieser Ebene sei es neu, auf Bezirksebene habe es natürlich schon öfters Umfragen oder Befragungen gegeben.
Ein neues Instrument für Bürgerbeteiligung?
Seit 1973 haben Bürger in Wien die Möglichkeit mittels Volksbefragung mitzustimmen. Seitdem hat es sieben solcher Volksbefragungen gegeben. Zuletzt im Jahr 2013, als u.a. die Parkraumbewirtschaftung abgefragt wurde. Immer wurden konkrete Fragen gestellt, etwa zu einem Neubau des zoologischen Institutes im Sternwarte-Park (1973). Allerdings hat es damals das Instrument der Volksbefragung noch gar nicht gegeben. Und dennoch wurde eine durchgeführt. Es sei prinzipiell nicht verboten, etwas zu tun, was nicht in der Verfassung steht, so der Verfassungsdienst der Stadt. Könnte demnach die Anrainerbefragung, wie sie der Gemeinderat zur Mariahilfer Straße durchführt, nun auch eine Vorreiterrolle einnehmen und zukünftig die Stadt verstärkt aufgrund von Umfragen gestaltet werden? Eher nein, hieß es dazu. Die Volksbefragungen würden dadurch nicht verdrängt.
Ob Umfrage, Bürgerumfrage, Anrainerumfrage oder Befragung, "da ist nichts geregelt, deshalb alles erlaubt". "In diesem Fall sei es die politische Willensbildung des Wiener Gemeinderates gewesen, es so zu machen. Das ist legal möglich", so der Verfassungsdienst. In Graz etwa begründete man die Tatsache, dass im vorigen Jahr eine Umfrage statt einer Volksbefragung zur Lebensqualität der Stadt gemacht wurde, damit, "dass das kein Akt politischer Willensbildung war, sondern eine Umfrage, die das Stimmungsbild in der Stadt Graz abbilden sollte".
"Mittelweg halte ich für problematisch"
Für Politologe Klaus Poier wird es dann schwierig, "wenn man die Befragung für etwas verkauft, was sie nicht ist, "wenn man eine Umfrage als Volksbefragung verkaufen will", sagte er zur "Wiener Zeitung". Man erwecke dadurch den falschen Eindruck. "Man bewegt sich damit im ungeregelten rechtsfreien Raum", meinte er. "Ist es eine Volksbefragung, dann sind strenge Regeln einzuhalten, ist es eine Umfrage, dann ist sie als solche zu führen. Den Mittelweg halte ich für problematisch." Allerdings hält er es für sinnvoll, hohe Standards an eine Umfrage anzusetzen. Für die Vorgehensweise der Politik hat er Verständnis: "Die Regelungen in der direkten Demokratie sind sehr restriktiv. Es gibt kein Internetvoting, keine Briefwahl in manchen Städten. Weil das alles unflexibel ist, greift die Politik auf Methoden zurück, die sich im rechtsfreien Raum befinden", sagte Poier.
Für Politologin Sieglinde Rosenberger liegt auf den ersten Blick "kein Unterschied zu einer Volksbefragung vor".
Die Frage, ob es eine Volksbefragung oder eine unverbindliche Meinungsumfrage ist, hält Gertraud Diendorfer, Leiterin des Demokratiezentrums in Wien, für nebensächlich. Denn im Prinzip geht es laut Diendorfer darum, dass man die Betroffenen befragt und das Ergebnis ernstgenommen wird. Es sei immer eine Grundsatzfrage, wann ein Projektvorhaben ein regionales oder ein übergeordnetes Projekt ist. Im Fall der Mariahilfer Straße sei das sehr schwierig. Denn im Grunde seien alle Wiener betroffen, sagte sie. In diesem Fall wäre es schon gut gewesen, alle miteinzubeziehen.
Als sich die Wiener 1973 gegen einen Neubau im Sternwarte-Park aussprachen, trat der damalige Bürgermeister von Wien, Felix Slavik, zurück. Volksbefragungen sind für Politiker ein zweischneidiges Schwert. Einerseits signalisiert die Stadt damit Bürgernähe, andererseits kann das Ergebnis dem politischen Programm und der Überzeugung zuwiderlaufen. Dazu kommt, dass die Wiener keine Veränderungen lieben. Der Sternwarte-Park bekam kein neues Zoologisches Institut, der Flötzersteig keine autobahnartige Schnellstraße in Hochlage, die Steinhofgründe wurden nicht verbaut und Wien bekam keine Weltausstellung im Jahr 1995. Was auch immer gefragt wurde, unliebsame Projekte wurden abgelehnt, der Status quo meist erhalten. So gibt es keine Olympischen Spiele in Wien, stattdessen wurden Hausbesorger, Ganztagsschulen, der U-Bahn-Nachtbetrieb und Hundeführerscheine befürwortet.
Die Wiener sind laut dem ehemaligen Politiker Manfried Welan "Konkretisten". "Das unmittelbar Anstehende, das einen selbst betrifft, da tut man ein bissl mit, bei allem anderen eher nicht", begründete er die Frage, warum nicht alle Wiener über die Mariahilfer Straße abstimmen können. Er sieht das Ganze jedoch gelassen. Die Umfrage werde man nicht anfechten können, sie werde aber in der Diskussion bleiben. Überhaupt sei alles eine Frage der Entwicklung "siehe EU, siehe direkte Demokratie, siehe Zuwanderer." Das Recht hinke der Wirklichkeit meistens nach. Abgesehen davon seien "nächstes Jahr Wahlen".
Welche Möglichkeiten hat die Stadt, ihre Bürger bei Entscheidungen einzubinden?
Volksabstimmung: Die Wiener werden auf Landesebene gefragt; Gesetze können einer Volksabstimmung unterzogen werden; eine solche gab es in Wien aber noch nicht.
Volksbefragung: Gab es in Wien schon oft, seit 1973 insgesamt sieben; alle Wiener werden gefragt, hoher formalisierter Aufwand; laut Stadtverfassung ist eine Volksbefragung auch in Teilen des Stadtgebietes möglich.
Umfrage/Befragung: nicht gesetzlich geregelt; meistens über Meinungsforschungsinstitute; Instrument der partizipativen Demokratie; bis jetzt nur auf Bezirksebene in Wien durchgeführt; erstmalig wird eine Umfrage auf Gemeinderatsbeschluss als Entscheidungsgrundlage benutzt.
Welche Möglichkeiten hat der Bürger, Einfluss auf die Regierung zu nehmen?
Bürgerinitiative: Engagement von unten; für alle.
Volksbegehren: Wenn fünf Prozent Mindestanzahl an Unterstützungserklärungen da sind; ausschließlich Wiener.
Petitionsrecht: seit einem Jahr möglich, Voraussetzung Hauptwohnsitz in Wien, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, ab 500 Unterschriften muss die Petition im Gemeinderat behandelt werden.