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"Keine Frau macht es sich leicht"

Von Alexandra Grass

Politik

Weltweit sind jährlich mehr als ein Drittel aller Schwangerschaften ungewollt. Vor allem sozial- und gesellschaftspolitische Missstände führen viele Frauen in einen emotionalen Irrgarten, auf dessen Weg hinaus oft die Entscheidung zur Abtreibung getroffen wird. Von Recht auf Selbstbestimmung sprechen die einen, von Tötung die anderen. Eine emotionsgeladene Kontroverse, die bis heute nicht zur Ruhe kommt. Im Gegenteil: Immer wieder flammen neue Diskussionen um die Fristenlösung auf, naturgemäß gefolgt von einem Aufschrei jener, die auf das Recht der Frauen verweisen.


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Insgesamt 25 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen - allen voran Lateinamerika, Afrika und Asien.

Aber auch in Europa wehren sich noch zwei Länder erfolgreich gegen eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen: Irland und Malta. Wie seitens der WHO bestätigt, verhindert jedoch die Illegalität nicht die hohe Zahl an Abtreibungen - weltweit jährlich insgesamt 52 Millionen -, ist aber verantwortlich dafür, dass sich Frauen sehr gefährlichen - oft lebensfährlichen - Prozeduren unterziehen. Komplikationen treten hier in etwa 40 Prozent der Fälle auf. Jährlich sterben rund 78.000 Frauen an den Folgen einer unsicheren Abtreibung: Infektionen, Verblutungen, Gebärmutterverletzungen und Vergiftungen durch diverse Drogen.

Bei der Conference on Population and Development in Cairo wurde die - wörtlich übersetzt - unsichere Abtreibung als ein wesentliches Problem der Weltgesundheit erkannt.

Gesetz zur Fristenregelung seit 1. Jänner 1975 in Kraft

In Österreich wurde die Abtreibung durch einen parlamentarischen Beharrungsbeschluss vom 23. Jänner 1974 legalisiert. Seit 1. Jänner 1975 ist die sogenannte Fristenregelung in Kraft. Sie gewährleistet eine Straffreistellung ärztlich durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche nach vorheriger ärztlicher Beratung innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate.

Abtreibungsgegner halten "Wache" vor den Kliniken

Durchgeführt werden diese hierzulande in Spitälern sowie Abtreibungskliniken wie etwa im Ambulatorium für Schwangerenhilfe und Sexualmedizin Am Fleischmarkt. Die private Tagesklinik ist seit 1999 Mitglied von Marie Stopes International, einer Charity Organisation, die weltweit Projekte für reproduktive Gesundheit und Familienplanung leitet. Gegründet wurde sie im Jahr 1976. Wie die Sprecherin der Klinik, Alexandra Bösch-Kemter, gegenüber der "Wiener Zeitung" betonte, bemühen sich mehr als 30 Fachärztinnen, Sozialarbeiterinnen, Krankenschwestern und Ordinationshilfen um die Bedürfnisse der PatientInnen.

Psychologinnen sorgen für die seelische Betreuung jener Frauen, die sich zu diesem Schritt gezwungen sehen.

Aber nicht nur die Sache an sich gilt es zu verarbeiten. Denn verschärft wird die Situation durch jene fanatischen Abtreibungsgegner, die tagtäglich vor den Kliniken "Wache" halten. Wie das "Aktionskomittee für das Selbstbestimmungsrecht der Frau" erst kürzlich beschrieb, stehen Aktivisten von "Human Life International" (HLI) mit diversen "Horrorbildern" - von "menschlichem Abfall", wie HLI betitelt - "und Plastikembryos vor den Hauseingängen und belästigen alle, die das Haus betreten wollen. Sogar Kindern drücken sie ihre Folder in die Hand."

Am Fleischmarkt gehören die "Gegenmaßnahmen" bereits zum üblichen Alltag. Ein Securityposten am Hauseingang beobachtet das Geschehen und bietet schutzsuchenden Frauen jederzeit Geleit. Prinzipiell gebe es keine besonderen Attacken - zu Beschimpfungen komme es aber sehr wohl, berichtete Bösch-Kemter.

Bei "Mairo" im 2. Bezirk erreicht das gefürchtete Spektakel jeden letzten Samstag im Monat seinen Höhepunkt: 50 bis 70 AktivistInnen stehen betend und singend vor der Klinik. Nicht nur, dass sie vor den Türen stehen, versuchen sie auch noch, sich in die Häuser reinzudrängen und dort Wohnungen zu erstehen, so ein Mitglied des Aktionskomittees. Dietmar Fischer, österreichischer Kopf von HLI, sei es bereits gelungen, die Wohnung, in der "Mairo" untergebracht ist, zu erwerben - und habe somit als Besitzer jederzeit das Recht auf Zutritt. Er habe indessen eine Räumungsklage eingereicht. Die Verbündeten von HLI verfügten weltweit über große Geldmittel. Fischer war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Diskussion flammt auch in der Politik immer wieder auf

Ethische Zweifel an der Fristenregelung kommen auch innerhalb der Regierung immer wieder zum Vorschein. Mit der Idee, man sollte klären, ob jene Frist verkürzt werden könnte, innerhalb der ein behindertes Ungeborenes abgetrieben werden darf, sorgte Sozialminister Herbert Haupt Ende vergangenen Jahres für Diskussionen. Der Aufschrei der Frauen - vor allem in der SPÖ - folgte postwendend. Das wäre ein Rückschritt in Frauenangelegenheiten, an der Fristenlösung dürfe nicht gerüttelt werden. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel stellte zuletzt im Mai die Möglichkeit der Abtreibung behinderter Kinder bis zur Geburt in Frage.

Die Straffreiheit der Abtreibung sei einer der Kernbereiche zur Selbstbestimmung der Frauen und "darf nicht angetastet werden", betonte Eva Rossmann gegenüber der "Wiener Zeitung". Niemand habe ein Interesse daran, dass abgetrieben wird, aber "keine Frau macht es sich leicht". Sie fordert entsprechende soziale Rahmenbedingungen ein, um Betroffenen die Entscheidung gegen die Fristenlösung leichter zu machen. Auch gesellschaftspolitisch müsse ein Klima geschaffen werden, dass das Leben mit Kindern einfacher gestaltet werden kann. Mehr Kinderbetreuungsplätze und Ganztagsschulen seien ein Ansatzpunkt. Das Aktionskomittee setzt auch in einem anderen Bereich an: So gebe es etwa keine Verhütungsmittel auf Krankenschein. Auch bei Sozialhilfeempfängern spiele für den Staat Kontrazeption keine Rolle, lautet die Kritik.

Umstritten ist die Abtreibung als eine Art der Problemlösung in weiten Kreisen - mitunter auch innerhalb der Befürworter. Aber die Letztentscheidung hat jede einzelne Frau zu treffen - und ihr sollte in jedem Fall volle Unterstützung seitens der Gesellschaft zuteil werden.