Ungarn bezieht 80 Prozent seines Gases aus Russland.
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Budapest. Mit dem von Gazprom verkündeten Aus für South Stream hat Viktor Orbán eine propagandistische Schlappe erlitten. Nun fehlt Ungarns Premier das beliebte Freund-Bild Russland, das er bisher in seiner gegen den Westen gerichteten Rhetorik benutzt hat. Sein Freund-Feind-Schema dürfte durcheinander geraten sein. Zur Entscheidung der Gazprom äußerte er sich zunächst nicht. Für Ungarns Gasversorgung hat der Fall kurz- und mittelfristig kaum Konsequenzen. Ungarn bezieht seit langem etwa 80 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland. An dieser Abhängigkeit hätte die durch Bulgarien und Serbien geführte Leitung nichts geändert - der einzige Vorteil wäre gewesen, dass das Gas nicht mehr, wie bisher, durch die Ukraine nach Ungarn geflossen wäre. Ungarn hatte, wie auch andere EU-Länder, Interesse daran, bei der Gasversorgung die Ukraine als Transitland zu umgehen, weil Streit zwischen Kiew und Moskau seit Jahren immer wieder zu Störungen der Versorgung geführt hatte. Deswegen hatte sich schon die sozial-liberale Regierung Ungarns unter Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány dem South-Stream-Projekt angeschlossen. Der damalige Oppositionspolitiker Orbán hatte dies damals als "Putsch" gebrandmarkt, wegen ideologischer Vorbehalte gegenüber Putin.
Später aber hatte der rechtsnationale Orbán eine Wende um 180 Grad vollzogen. Kaum an der Macht, 2010, begann er begann eine Kampagne gegen die EU, die USA und den IWF. Spätestens seit seiner berüchtigten Rede in diesem Sommer in Rumänien weiß die Welt, dass Putins Russland für Orbán als nachzuahmendes Modell gilt. Und dass Demokratie und Menschenrechte ihm weniger bedeuten als wirtschaftlicher Erfolg, den Länder wie Russland und China ihm vorexerzieren. Gegen Vorbehalte der EU setzte Orbáns Partei Fidesz im Oktober sogar eine Gesetzesänderung durch, der zufolge Gazprom den ungarischen Abschnitt von South Stream bauen darf. EU-Wettbewerbsregeln verbieten es, dass ein und dieselbe Firma sowohl das Erdgas liefert als auch die Pipelines baut und betreibt. Durch die Neuregelung sollte der Ausbau des ungarischen Abschnitts von South Stream beschleunigt werden, unter Umgehung langwieriger EU-Verfahren.
Vom Gegner zum Befürworter
Der frischgebackene junge Außenminister Péter Szíjjartó eilte einen Monat später gar nach Belgrad, um, wie er hoffte, gemeinsam mit seinem serbischen Kollegen Ivica Dacic die EU dazu zu bewegen, sich mit Moskau auf den Bau der Pipeline zu einigen. Ungarn war zuletzt unter allen South-Stream-Unterstützern als einziges EU-Land übrig geblieben.
Außenminister Szíjjartó tröstet sich derweil mit der Aussicht auf Erdgas aus Aserbaidschan. Auch der ungarische Stromversorger MVM erklärt jetzt, dass Ungarn weiter an dem bisher auf Eis liegenden Projekt der sogenannten Agri-Pipeline aus dem Kaukasus interessiert sei. Wohlweislich hatte Orbán bereits Anfang November den aserbaidschanischen Diktator Ilcham Aliyew in Budapest empfangen und dessen Politik gelobt. Glücklich seien die Völker, die eine "klare Führung" hätten, sagte Orbán seinem Gast.