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Keine Glaubenssache

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Wer ist schuld am Hochwasser in Polen? Die Biber, glaubt man dem polnischen Innenminister. Wer ist verantwortlich für die Schuldenkrise Griechenlands?


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Die Deutschen, weil sie nach dem Krieg zu geringe Entschädigungszahlungen leisteten, behaupten zumindest Politiker in Athen. Warum bekommen manche Österreicher keinen Job? Weil zu viele Ausländer im Land sind, argumentieren Ideologen von Rechtsaußen. Und was tun gegen die Armut? Den Reichen ihren Reichtum wegnehmen, fordern die Überzeugten vom linken Rand.

Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung: Dies gehört zu den unverbrüchlichen und selbstverständlichen Spielregeln liberaler Demokratie. Daraus abzuleiten, dass jede Meinung gleich viel zählt, ist allerdings eine der gefährlichsten Entwicklungen für die Politik unserer Zeit.

Natürlich gibt es keine objektive Politik, sind Lösungen für gesellschaftliche Probleme immer abhängig vom weltanschaulichen Standpunkt des Betrachters. Das soll, ja, muss so sein - wie anders soll den Bürgern die Wahl zwischen verschiedenen Positionen ermöglicht werden?

Die gemeinsame Grundlage unterschiedlicher politischer Lösungsansätze muss jedoch eine möglichst faktengetreue Analyse des Ist-Zustands sein. Eine politische Meinung, die Tatsachen ignoriert oder schlicht leugnet, ist kein zulässiger Standpunkt, sondern Dummheit. Ob dahinter Absicht oder nur Unbedarftheit steckt, ist fast schon egal.

Die Bürger allein sind mit der Aufgabe überfordert, bei politischen Meinungen die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie sind dabei auf die Unterstützung der Medien angewiesen. Dabei geht es nicht um Zensur - selbst wenn Politiker den größten Blödsinn erzählen. Kernaufgabe der Medien ist es, den Bürgern mit einer faktengetreuen Berichterstattung die Chance zu geben, sich selbst eine eigene Meinung zu bilden, sie sollen nicht auch noch zur Verwirrung beitragen.

Das ist kein Plädoyer für eine Technokratie der Experten. Politiker ohne Sachwissen leisten allerdings der Demokratie einen schlechten Dienst. Standpunkte verkommen so zur reinen Glaubenssache. Die allerdings sollte - ein Verdienst der Aufklärung - reine Privatangelegenheit sein, Politik geht dagegen alle an.