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Keine Gnade für Mursi

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Gericht in Kairo hält die Todesstrafe für den gestürzten ägyptischen Präsidenten aufrecht - er soll gehängt werden.


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Kairo. Die Zuschauer im Gerichtssaal und zu Hause an den Bildschirmen hielten dann doch für einen Moment die Luft an, als Richter Shaaban al-Shami zur Mittagszeit verkündete, dass Mohammed Mursi und 98 andere Mitangeklagte zum Tod durch den Strang verurteilt werden. Nur sechs der Verurteilten sind derzeit in Haft, der Rest ist flüchtig. Damit hat auch der Oberste Mufti des Landes am Dienstag der Todesstrafe für den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens zugestimmt. Die ägyptische Verfassung schreibt vor, dass bei Höchststrafen der Rat des muslimischen Geistlichen eingeholt werden muss. Der im Mai in erster Instanz gefällte Richterspruch wurde also bestätigt. Obwohl die Entscheidung von vielen erwartet wurde, zeigt es einmal mehr, dass das jetzige Regime keine Gnade kennt. Mit äußerster Härte geht es gegen seine Gegner vor. Ägypten hat derzeit so viele politische Gefangene wie kaum ein anderes Land auf diesem Erdball. Fast zwei Jahre nachdem das Militär Mursi nach Massenprotesten stürzte, wetzt der neue starke Mann am Nil die Messer gegen seinen Vorgänger.

Perfektes Timing

Dass Abdel Fattah al-Sisi gebetsmühlenartig verkündet, Ägyptens Justiz sei unabhängig, klingt deshalb wie Hohn. Das endgültige Urteil sollte bereits am 2. Juni verkündet werden. Doch tags darauf reiste der neue Pharao zum Staatsbesuch nach Berlin, ein Besuch, der ihm zu Hause in Ägypten Prestige verlieh. Da passte es nicht, ein Todesurteil gegen seinen Vorgänger in der Tasche zu haben, zumal in Deutschland noch immer eine gewisse Sensibilität für die Achtung der Menschenrechte gilt und die Todesstrafe verurteilt wird. Sicher hätte sich Sisi einige unangenehme Fragen gefallen lassen müssen. Nicht nur nach der Legitimität der Gerichtsverfahren, sondern auch nach der Verhältnismäßigkeit. Und dieses Prinzip wurde besonders mit Füßen getreten.

Es war ein Montag, als am 4. November 2013 die Prozesse gegen Mohamed Mursi und unterschiedliche Mitstreiter in Kairo begannen. Insgesamt drei Verfahren sind seitdem gegen den 63-jährigen Muslimbruder verhandelt worden. Alle drei sind jetzt zu Ende gegangen mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. "Es geht dabei nicht um die betreffenden Straftaten", fasst ein ehemaliger Redakteur der halbamtlichen ägyptischen Tageszeitung "Al Ahram" zusammen, "sondern um das, was geschehen ist. Der politische Prozess in Ägypten wird mit diesen Urteilen ermordet." Aus Angst ebenfalls verhaftet zu werden, will er seinen Namen nicht nennen.

Kafkaeske Zustände

Das Todesurteil gegen Mursi ist in dem Verfahren aufrechterhalten worden, in dem es um seinen Gefängnisausbruch in den Revolutionstagen Ende Januar 2011 ging. Dabei soll er Mitglieder der Hamas um Hilfe gebeten habe. Mit Waffen und Munition hätten diese den Weg für hunderte von Gefangenen freigeschossen. Unter ihnen sollen Dschihadisten, Kriminelle und Terroristen gewesen sein - und auch der spätere Präsident Mohamed Mursi. In dem zweiten Verfahren ging es ebenfalls um die Hamas. Aber nicht nur. Geheimnisse soll Mursi verraten haben, an die Hamas, die Hizbollah und mithin an deren Verbündeten Iran. Hierfür bekam Mursi lebenslänglich, obwohl die ägyptische Regierung vor zwei Wochen entschied, Hamas von der Terrorliste zu streichen. Die Herren in Gaza mischten sich nicht in die Belange Ägyptens ein, so die Begründung. Drei Tage lang wurde daraufhin der seit dem Sturz Mursis geschlossene Grenzübergang in Rafah geöffnet.

Das dritte Verfahren kann noch am ehesten nachvollzogen werden. Hierfür verhängte der Richter allerdings die niedrigste Strafe. 20 Jahre soll Mursi dafür büßen, dass er den Dezember 2012 Befehl gegeben hatte, Demonstranten vor dem Regierungspalast gewaltsam zu entfernen. Als Beweise dienten Telefonmitschnitte, in denen der damalige Präsident den Chef der Präsidentengarde, Mohamed Zaki, aufforderte, hunderte Protestierer im Stadtteil Heliopolis, wo der Ittihadiya-Palast liegt, mit Gewalt auseinanderzutreiben. Als dieser den Befehl verweigerte und den Präsidenten stattdessen aufforderte, in einen Dialog mit den Demonstranten zu treten, soll Mursi den Chef der Muslimbrüder, Mohamed Badie, sowie dessen Vize Khairat al-Shater um Hilfe gebeten haben. Daraufhin seien mit Schlagstöcken bewaffnete Anhänger, die der Richter muslimische Milizionäre nennt, ausgerückt und hätten auf die Demonstranten eingedroschen.

Das Ergebnis ist bekannt: Einige wurden getötet, einige gefoltert, viele verletzt. Auch unabhängige Journalisten wurden zum Ziel der Schlägertrupps. Was mit hunderten von Demonstranten gegen den damals amtierenden Präsidenten Mursi begann, weitete sich bis zum 30. Juni 2013 zu Massendemonstrationen mit Millionen von Menschen aus. Mursi aber war uneinsichtig und wollte nicht zurücktreten. Der Mann, der am Tag seiner Amtseinführung alle Bürger einlud, ihn in seinem Regierungspalast zu besuchen, Bürgersprechstunden einführen wollte und Volksnähe demonstrierte, ließ nach nicht einmal sechs Monaten Stacheldraht und Zementblocks um seinen Regierungssitz ziehen.

Mursis Vorgänger Hosni Mubarak, der Ägypten fast 30 Jahre lang regierte, wurde für Übergriffe auf Demonstranten zu 25 Jahren Haft verurteilt. Inzwischen ist das Urteil aufgehoben. Ein Todesurteil wurde jedoch in keinem der ebenfalls drei Prozesse gegen Mubarak verhängt. Für kommenden Freitag hat die sich im türkischen Exil befindende Rest-Führung der Muslimbruderschaft zu Massenprotesten gegen das Todesurteil für Mursi aufgerufen.