Zum Hauptinhalt springen

Keine Harmonie in Peking

Von Gerhard Lechner

Politik

Affäre um politischen Aufsteiger offenbart Konflikt zweier Lager.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Peking. An sich ist der politische Code des kommunistischen China auf die Zurschaustellung von Harmonie ausgerichtet: Der Nationale Volkskongress, dessen Tagung gerade zu Ende ging, segnet die Vorhaben der Regierung stets mit großer Mehrheit ab, das offene Austragen parteiinterner Konflikte gibt es nicht, die offiziellen Medien vermeiden jede Berichterstattung darüber - dem konfuzianisch anmutenden Ziel der Führung, eine "harmonische Gesellschaft" aufzubauen, soll so auf allen Ebenen entsprochen werden.

Und dennoch: Von Harmonie kann auf dem diesjährigen Volkskongress keine Rede sein, denn hinter der Fassade tobt in Chinas kommunistischer Staatspartei offenbar ein beinharter Machtkampf. Im Mittelpunkt steht ein ehrgeiziger Aufsteiger: der Parteichef der 32-Millionen-Metropole Chongqing, Bo Xilai. Im Herbst, bei der anstehenden Rochade in der Führungsspitze Chinas, hätte der Mao-Verehrer eigentlich in den engsten Machtzirkel, in den Ständigen Ausschuss des Politbüros aufsteigen wollen. Bo hatte sich mit seinen Aktionen in Chongqing landesweit als Vertreter des linken, maoistischen KP-Flügels exponiert, hatte wie zu Zeiten der Kulturrevolution in den 1960er Jahren "Rote-Lieder-Kampagnen" abgehalten oder Beamte zur Landarbeit abkommandiert. Vor allem aber war er mit Härte und Konsequenz gegen Bandenkriminalität und Korruption vorgegangen - auf altkommunistische Art, mit einer starken Exekutive an den Gerichten vorbei, unter Zuhilfenahme von Folter, angeblich aber erfolgreich. Wesentlich zum Image Bos beigetragen hat Wang Lijun, der Polizeichef der Megametropole am Jangtse. Er galt als der "Superbulle" des Saubermanns.

Zumindest bis Anfang Februar - denn da tauchte der kurz zuvor ins Erziehungsressort versetzte Ex-Polizeichef plötzlich im US-Konsulat der 300 Kilometer entfernten Stadt Chengdu auf - in Frauenkleidern, wie es hieß. In einem im Internet kursierenden Brief bezichtigte Wang Bo, selbst "der oberste Boss einer kriminellen Bande" zu sein. Der Umstand, dass den im Internet ausgebrochenen Diskussionen und Mutmaßungen nicht sogleich Einhalt geboten wurde, nährte rasch Spekulationen, hinter dem Regionalkonflikt um einen ehrgeizigen Parteichef könnte mehr stecken.

Prinzen gegen Kader

Das dürfte auch so sein, denn im Vorfeld der Neubesetzungen, die in Chinas Führung im Herbst anstehen, sind in der vermeintlich einigen KP heftige Fraktionskämpfe im Gange. Dass Hu Jintao erst als Partei-, 2013 auch als Staatschef abtreten wird, gilt als ausgemachte Sache, mit Vizepräsident Xi Jinping steht auch sein Nachfolger bereits so gut wie fest. Die beiden Politiker kommen aus konkurrierenden Lagern: Während Hu als Führungsfigur der "Jugendligisten" gilt, einer Gruppe, die durch ihren gemeinsamen Marsch durch die KP-Institutionen zusammengehalten wird, wird Xi den sogenannten "Prinzlingen" zugerechnet. Bei ihnen handelt es sich um Söhne prominenter Parteiführer - und zu dieser Gruppe gehört auch Bo Xilai, dessen Vater, wiewohl während der Kulturrevolution interniert, zu den "Acht Unsterblichen" der Partei zählte. Es gilt als offenes Geheimnis, dass Staatschef Hu ein Mann aus seinem Lager, ein Jugendligist, als Nachfolger lieber gewesen wäre als Xi Jinping.

Die Affäre um Bo riecht für viele deshalb nach einer Revanche des Hu-Lagers für diese Niederlage. Eine prominente Rolle könnte dabei Wang Yang gespielt haben, Bos Vorgänger in Chongqing. Wang, ein Jugendligist, ist derzeit Parteichef von Chinas reichster Provinz Guangdong. Er macht sich ebenfalls Hoffnungen, im Herbst in den Ständigen Ausschuss des Politbüros aufzusteigen. Bo Xilais Chancen, doch noch in das Führungsgremium zu gelangen, schwinden jedenfalls: Am Mittwoch meinte Regierungschef Wen Jiabao, an Bo adressiert, die Parteiführung von Chongqing müsse "ernsthaft" über den jüngsten Zwischenfall nachdenken und ihre Lehren daraus ziehen. Damit hatte sich erstmals ein hohes Mitglied der Parteiführung zu der Affäre um den abgesetzten Polizeichef, gegen den weiter ermittelt wird, öffentlich geäußert - in China ein eher nicht karrierefördernder Vorgang.

Neue Polizei-Vollmachten

Weniger zäh als der interne Machtkampf verliefen auf dem Volkskongress die Abstimmungen über die Verschärfung von Maßnahmen gegen Regimekritiker: Im Schnellverfahren billigte das aus 3000 Abgeordneten bestehende Gremium, das zwar nichts zu entscheiden hat, formell aber das höchste Staatsorgan der Volksrepublik darstellt, ein umstrittenes neues Strafverfahrensrecht. Es gibt den Sicherheitsorganen weitreichende Vollmachten für "heimliche Festnahmen" und Hausarrest. Menschenrechtsgruppen sprachen von einem "Rückschlag für den Schutz der Bürgerrechte". Bei ungenau definierten politischen Verdächtigungen wie "Gefährdung der Staatssicherheit" oder Terrorismus sowie bei "größeren Bestechungsfällen" erlaubt das Gesetz "häusliche Überwachung" an einem unbestimmten Ort, wenn es für ungehinderte Ermittlung nötig erscheint. Dem Verdächtigten kann jeder Zugang zu einem Anwalt verweigert werden. Angehörige müssen zwar unterrichtet werden, aber nicht den Aufenthaltsort kennen.

"Solche Vorkehrungen sind eine große Gefahr für Kritiker der Regierung und Menschenrechtsaktivisten", sagte Sophie Richardson, China-Direktorin von Human Rights Watch. "Es ist auch ein klarer Verstoß gegen Chinas internationale Verpflichtungen." Haft an unbekannten Orten berge eine große Gefahr von Folter und Misshandlungen. "Es wird Panik in der Gesellschaft auslösen", sagte der Künstler Ai Weiwei, der im vergangenen Jahr selbst zwei Monate in Hausarrest verschwunden war.

Da das neue Strafverfahrensrecht heftige Debatten in China ausgelöst hat, war die Zustimmung mit 92 Prozent eher zurückhaltend. Andere Vorlagen billigt der Volkskongress sonst mit größerem Konsens. Das Gremium tritt jedes Jahr im März für zehn bis zwölf Tage in der Großen Halle des Volkes in Peking zusammen. Die Delegierten werden nicht frei gewählt, sondern alle fünf Jahre von lokalen Volkskongressen neu entsandt.