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Keine Hintertür für Lohndumping

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Entlohnung nach Tarifverträgen des Ziellandes. | Soziale Standards sollen gesichert sein. | EU-Parlament sieht mehr Ausnahmen vor. | Brüssel. "Wenn die Wohnung unter Wasser steht, wird der polnische Installateur gerufen, und er saniert die Leitungen zum Bestpreis. Die heimischen Handwerker müssen zusperren." So malen Gewerkschaften und Sozialdemokraten bis heute den Teufel an die Wand. Dieser heißt Dienstleistungsrichtlinie.


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Mit ihr will die EU die dritte ihrer vier Grundfreiheiten verwirklichen, die nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs längst gilt. Waren und Personen dürfen schon weitgehend unbehelligt die internen Grenzen Europas passieren - Dienstleistungen nur mit groben Hürden. Ähnlich geht es dem Kapitalverkehr - womit derzeit Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy kämpft.

Um die Überarbeitung eines Gesetzesvorschlags seines Vorgängers Frits Bolkestein zur Ausschöpfung des Potentials der boomenden Dienstleistungsbranche ringt unterdessen das Europäische Parlament. Bei seiner Abstimmung im Binnenmarktausschuss bestätigte es vorläufig den Grundsatz des Herkunftslandprinzips. Demnach soll sich jeder Dienstleistungsanbieter - einmal im Heimatland zugelassen - in allen anderen EU-Ländern ohne eingehende weitere Genehmigungen niederlassen dürfen. Auch sollte er in allen Mitgliedsstaaten seine Dienste anbieten können, wenn er dort keine Niederlassung eröffnet.

Kontrolle der Leistung durch das Zielland

Entsprechend dem Herkunftslandprinzip gelten die Gesetze von daheim, war die Idee. Der politischen Brisanz der Annahme war sich die Kommission bewusst und hat breite Geschäftsfelder von der geplanten Richtlinie oder zumindest von dem Prinzip ausgeschlossen.

Die Hauptvorwürfe gegen den Vorschlag konzentrierten sich aber von Anfang an auf die Gefahr des Lohn- und Sozialdumpings sowie die Kontrolle der Dienstleister durch die Behörden des jeweiligen Heimatlandes. Daher sind der Ausschluss des Arbeitsrechts von der Dienstleistungsrichtlinie und die Kontrollhoheit für die Zielländer die beiden wichtigsten Erfolge der Abgeordneten.

Zwar hatte die Brüsseler Behörde auf die weiterhin uneingeschränkte Wirksamkeit der Entsenderichtlinie verwiesen, die für die Arbeitnehmer das Ziellandprinzip vorsieht. So hätten etwa Arbeiter aus der Slowakei in Österreich entsprechend den Tarifverträgen entlohnt werden müssen. Für sie hätten dieselben Arbeitszeitregeln und derselbe Arbeitschutz wie für Österreicher gegolten.

Arbeitsrecht: Mehr als Lohnregelungen

Das Arbeitsrecht geht darüber aber weit hinaus. Schon bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall endet die Reichweite der Entsenderichtlinie. Diese mögliche Hintertür für Lohndumping wäre nach der Abstimmung im Binnenmarktausschuss über rund 1.500 Änderungsanträge geschlossen.

Die von den Abgeordneten gefeierte Sicherung der Sozial-, Sicherheits- und Umweltstandards durch Befreiung vom Herkunftslandprinzip war allerdings schon im Kommissionsvorschlag vorgesehen. Sie wurde lediglich prominenter platziert. Auch Post, Strom-, Gas- und Wasserversorgung waren bereits ausgenommen. Für Unternehmen in diesen Branchen gelten aber weiterhin die geplanten bürokratischen Erleichterungen bei grenzüberschreitenden Geschäften: ein Ansprechpartner pro Mitgliedsland und vereinfachte Abwicklung durch Kooperation der nationalen Behörden. Lediglich bei der Niederlassung der Unternehmen im Zielland wollen die Parlamentarier hier ein zusätzliches Genehmigungsverfahren.

Daseinsvorsorge nicht von Richtlinie betroffen

Von Anfang an klar war auch, dass sich das geplante EU-Gesetz nicht auf Leistungen von allgemeinem Interesse bezieht. Deren Definition überließ die Brüsseler Behörde schon in ihrem Vorschlag von Februar 2004 den Mitgliedsstaaten. In Österreich sind diese Leistungen unter dem Begriff Daseinsvorsorge bekannt. Über den Vorschlag der Kommission hinaus will die Mehrheit der Parlamentarier sämtliche Gesundheitsdienstleistungen, Dienstleistungen des audiovisuellen Bereichs, Gewinnspiele, Lotterien und Kasinos vom Geltungsbereich der Richtlinie ausschließen.

Parallel zum Parlament verhandeln permanent die Mitgliedsstaaten auf Beamtenebene miteinander - besonders intensiv seit Anfang September. Das EU-Parlament hat dem Vernehmen nach mit seinem Votum annähernd zum Stand dieser Gespräche aufgeschlossen. Die von den Grünen EU-Abgeordneten angeprangerte Einbeziehung der Leiharbeitsfirmen sei dort bereits gelöst. Auch für die Leiharbeiter gelte das Zielland-Arbeitsrecht. Das Votum im Ausschuss sei darüber hinaus nur ein Mosaikstein auf dem Weg zur Lösung. Unvorhersehbar sei der Ausgang der für Jänner geplanten Abstimmung im Plenum.

Pole oder Österreicher - dieselben Regeln

Nach heutigem Stand kann aber getrost der polnische Installateur gerufen werden, wenn die Wohnung unter Wasser steht. Die heimischen Handwerker brauchen deshalb nicht zu erzittern. Der Pole unterliegt denselben arbeitsrechtlichen Regeln wie sein österreichischer Kollege. Entsprechend der Entsenderichtlinie muss er ständig zahlreiche Dokumente stets mit sich führen, die seine Anstellung gemäß österreichischem Arbeitsrecht belegen.

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