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20 Anträge zum Impfpflichtgesetz liegen dem VfGH vor. Warum diese trotz der Aussetzung noch relevant sein könnten.
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Die Impfpflicht soll zwar vorläufig ausgesetzt werden, die viel diskutierte Maßnahme könnte die Verfassungsrichter aber noch länger beschäftigen. 20 Individualanträge zum Impfpflichtgesetz liegen dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) derzeit vor, erklärt eine Sprecherin gegenüber der "Wiener Zeitung". "In den Anträgen werden Verletzungen von Grundrechten (Recht auf Privatleben, Gleichheit, Datenschutz) geltend gemacht."
Wie das Höchstgericht nun nach der Aussetzung der Impfpflicht damit verfahren werde, sei eine "spannende Frage", sagt der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck. Unklar ist etwa, ob die Anträge überhaupt zulässig sind.
Die Ausgangslage: Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) will mit einer Verordnung das Gesetz bis 31. Mai aussetzen und nicht nur die Strafbarkeit bei Verstößen gegen die Impfpflicht. Dass damit die Impfpflicht vollends aus dem Rechtsbestand verschwindet, ist nicht der Fall. "Die Verordnung schiebt nur den Vollzug bis zu einem gewissen Grade auf. Das Impfpflichtgesetz ist rechtlich weiter existent", sagt Verfassungsrechtler Christoph Bezemek von der Uni Graz. Bußjäger erklärt: "Das Gesetz ist formell weiterhin in Kraft. Es wird durch die Verordnung aber in seiner Anwendung ausgesetzt."
Judikaturwandel durch Corona-Maßnahmen
Bei der Zulässigkeit des Individualantrags ist allerdings zu prüfen, ob das bekämpfte Gesetz den Betroffenen unmittelbar in seinen Rechten verletzt. Kann das der Fall sein, wenn das Gesetz nicht mehr anwendbar ist und auch keine Sanktionen drohen?
"Die frühere Judikatur des Verfassungsgerichtshofes wäre da ziemlich eindeutig: Die hätte eine unmittelbare Betroffenheit verneint", sagt Bußjäger. Allerdings habe sich infolge der Prüfung der Corona-Maßnahmen ein Judikaturwandel vollzogen. "Auch Beschränkungen, die bereits außer Kraft getreten sind, können nun nachträglich angefochten werden." Ansonsten hätte der VfGH die in der Pandemie schnelllebigen Maßnahmen, die teils nur wenige Wochen in Kraft waren, gar nicht prüfen können.
"Da hätte der Anfechtungswerber hinter jeder neuen Maßnahme wie der Esel hinter der Karotte nachrennen müssen", sagt Bußjäger. Zudem könne eben argumentiert werden, dass die Impfpflicht nur durch eine Verordnung des Gesundheitsministers temporär ausgesetzt sei. "Ich muss also auf absehbare Zeit damit rechnen, dass die Impfpflicht doch wieder eingeführt wird." Es gebe zwar manches Gegenargument, in Abwägung aller Umstände würde er aber eine unmittelbare Betroffenheit bei der Impfpflicht weiterhin bejahen, sagt Bußjäger.
Bezemek teilt diese Ansicht. Der Verfassungsgerichtshof habe in seiner jüngeren Judikatur dargelegt: "Entscheidend ist, dass die Norm zum Zeitpunkt der Antragstellung rechtliche Wirkung für den Antragsteller entfaltet hat."
Vorverfahren zu Anträgen laufen
Auf die Prüfung der Zulässigkeit könnte dann eine inhaltliche Prüfung des Impfpflichtgesetzes folgen. "Der VfGH könnte festhalten, dass das Impfpflichtgesetz verfassungskonform ist. Oder er hebt es teilweise oder zur Gänze auf - dann müsste der Gesetzgeber schauen, ob er das noch reparieren kann", sagt Bußjäger.
Laut Bezemek sprechen gerade die flexiblen Instrumente des Gesetzes wie die Möglichkeit zur Aussetzung für die Zulässigkeit der Maßnahme. Solche Mechanismen würden die Verfassungskonformität klar stärken: "Das Sachlichkeitsgebot und der Gleichheitssatz wollen vermeiden, dass, komme, was da wolle, immer unbedingte Konsequenzen drohen." Diesen Bedenken würde mit den regelmäßigen Evaluierungen begegnet werden.
Mit einer baldigen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in der Causa ist jedenfalls nicht zu rechnen. Zu den Individualanträgen würden derzeit eine "Reihe von Vorverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind", laufen, so die Sprecherin des Höchstgerichts. Bei solchen Vorverfahren werden die Antragsgegner vom VfGH aufgefordert, Gegenäußerungen zu erstatten.
Aktuelle Beratungen zu Corona-Fällen
Zu anderen Corona-Themen könnte es hingegen demnächst Entscheidungen geben. Seit Ende Februar berät das Höchstgericht über rund 400 Fälle mit Coronavirus-Bezug. Die Beratungen laufen noch bis Ende nächster Woche.
Mehrere Fälle betreffen den Lockdown für Ungeimpfte. Die Antragsteller machen laut dem Verfassungsgerichtshof geltend, dass die angefochtenen Bestimmungen der 5. und 6. Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung gesetzwidrig seien. Der Kabarettist Alfred Dorfer und weitere Künstler brachten einen Antrag auf Prüfung einer Verordnung ein, die eine Sperre von Kultureinrichtungen vorsah.
Ein Individualantrag einer Schülerin einer vierten Klasse einer Mittelschule richtet sich gegen die Masken- und Testpflicht an den Schulen. Sie bringt vor, dass die Bestimmungen sachlich nicht gerechtfertigt und unverhältnismäßig seien.