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Keine Jugend im Gefängnis

Von Vilja Schiretz

Politik
682 Menschen unter 21 waren im Vorjahr in Haft.
© stock.adobe.com / Sasun Bughdaryan

Die Anzahl der Haftstrafen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich seit 2017 halbiert.


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Im Vorjahr waren 682 Jugendliche und junge Erwachsene zu irgendeinem Zeitpunkt in Haft oder im Maßnahmenvollzug. Manche verbrachten wenige Stunden oder Tage hinter Gittern, bei anderen wurden daraus Wochen, Monate, Jahre. Das geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage an Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hervor. Im Vergleich mit den Jahren davor hat die Zahl junger Häftlinge massiv abgenommen, sich in den vergangenen fünf Jahren sogar halbiert: 2017 saßen noch 1.377 unter 21-Jährige in Österreichs Justizanstalten.

Zufall sei das keiner, heißt es aus dem Justizministerium. "Es ist zu verzeichnen, dass sich die gesetzlichen Änderungen im Jugendgerichtsgesetz (JGG) bemerkbar machen." Denn im Jahr 2013 führte die Vergewaltigung eines 14-Jährigen in U-Haft zu einem Aufschrei - und in weiterer Folge zu einer Reform des Jugendvollzugs. U-Haft soll bei Jugendlichen seither möglichst vermieden werden, Maßnahmen wie betreute Wohngemeinschaften, Jugendgerichtshilfe oder Sozialnetzkonferenzen wurden gesetzlich verankert. "So wurde verstärkt klargestellt, dass junge Menschen nur dann in Haft genommen werden dürfen, wenn das unbedingt notwendig ist, und alle anderen möglichen Reaktionen geprüft beziehungsweise ausgeschöpft worden sind", heißt es aus dem Justizministerium.

Erleichterungen für Junge

Sowohl für Jugendliche zwischen 14 und 18 als auch für junge Erwachsene bis zum 21. Geburtstag sieht das Jugendgerichtsgesetz Erleichterungen vor. Für Jugendliche ist im Allgemeinen das Höchstmaß von angedrohten Geld- und Freiheitsstrafen auf die Hälfte herabgesetzt, bei Freiheitsstrafen entfällt außerdem ein Mindestmaß. Bei jungen Erwachsenen sei die Situation "mittlerweile sehr kompliziert", sagt der Wiener Rechtsanwalt Zaid Rauf, der häufig Jugendliche vertritt. Bis im Jahr 2019 Verschärfungen beschlossen wurden, entfiel auch für diese Gruppe die Mindeststrafdrohung, mittlerweile kommt es hier aber auf die Beschaffenheit des Delikts an. Für beide Gruppen gebe es aber nach wie vor die Möglichkeit eines Schuldspruchs ohne Strafe.

Walter Hammerschick vom Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) der Universität Innsbruck betrachtet die Gesetzesänderungen in Folge der Vergewaltigung auch als Hinweis auf einen Bewusstseinswandel im Umgang mit jugendlichen Straftätern. "Ich würde auf eine Ausweitung des Verständnisses hoffen, dass Haft die Ultima Ratio sein muss - ganz besonders bei Jugendlichen." Denn in der Regel würde sich die Haft negativ auf die Jugendlichen auswirken, trotz Bemühungen, sie auf das Leben in Freiheit bzw. ein Leben ohne Straffälligkeit vorzubereiten. "Der Entzug der Freiheit, diese totale Institution - das ist einfach fatal für Jugendliche", sagt Hammerschick.

Damit junge Menschen tatsächlich im Gefängnis landen, müsse jedenfalls schon einiges passieren: "Ich habe den Eindruck, Richter versuchen, Haft bei Jugendlichen so gut es geht zu vermeiden", sagt auch Rechtsanwalt Rauf.

Gute Erfahrungen gebe es etwa mit den bereits genannten Sozialnetzkonferenzen für Jugendliche in Straf- oder Untersuchungshaft, sagt Miriam Zillner vom Verein Neustart. Familienmitglieder, gute Freunde, der zukünftige Arbeitgeber sowie Bewährungshelfer kommen zusammen und arbeiten gemeinsam einen Plan für die Zukunft des Jugendlichen nach der Entlassung aus. Wo wird er wohnen? Wie sind Arbeit oder Ausbildung geregelt? Wie kann die Freizeitgestaltung aussehen? Dieser Plan wird auch dem Richter für die Haftverhandlung vorgelegt.

Meist mehrere Delikte

Dass Jugendliche trotz allem eine Gefängnisstrafe bekommen, liegt meist an Delikten wie dem unerlaubten Umgang mit Suchtmitteln, Raub, Diebstahl und Körperverletzung, meist ist es aber eine Kombination aus mehreren Delikten. Das zeigt sich auch bei der Altersverteilung der jungen Häftlinge: 2021 waren nur ein 14-Jähriger und dreizehn 15-Jährige in Haft. Dem gegenüber stehen bei 20-jährigen Häftlingen 237 Insassen. Das liege nicht unbedingt daran, dass ältere Jugendliche häufiger straffällig würden als jüngere, wie Zillner erklärt. Viel mehr kämen bei Älteren oft mehrere Delikte zusammen, Alternativen zur Haft seien ausgeschöpft.

Während ihre Zahl insgesamt abgenommen hat, hat es auch Veränderungen bei der Demografie der jungen Häftlinge gegeben. Hatten 2017 laut den Zahlen des Justizministeriums weniger als ein Drittel der Häftlinge eine österreichische Staatsbürgerschaft, stieg der Anteil im Vorjahr auf knapp die Hälfte. Die am stärksten vertretenen Gruppen ausländischer Staatsbürger waren 2021 Russen (7,9 Prozent), Afghanen (7,8 Prozent) und Serben (5,7 Prozent). Der Anteil inhaftierter Afghanen ist seit 2017 rückläufig.

Wenige weibliche Häftlinge

Es gibt wenig gesichertes Wissen, warum Jugendliche mit ausländischer Staatsbürgerschaft in der Statistik überrepräsentiert sind. Ebenso zum Umstand, dass ihr Anteil über die Jahre geringer gewordenen geworden ist. Es fehle generell Forschung zu Jugendkriminalität, außerdem handle es sich um eine sehr heterogene Gruppe, sagt Hammerschick. "Da sind Jugendliche dabei, die sind hier aufgewachsen und hier verwurzelt. Dann gibt es andere mit verschiedenen Migrationshintergründen, darunter auch Flüchtlinge. Da würde man oft Äpfel und Birnen vergleichen." Bei Geflüchteten könnten etwa schlechte soziale Rahmenbedingungen und fehlende Perspektiven, auch auf dem Arbeitsmarkt, Straftaten begünstigen. Andererseits kann sich Hammerschick auch vorstellen, dass für Menschen mit Migrationshintergrund das Risiko höher ist, ins Visier der Behörden zu geraten.

Was sich über die Jahre nur minimal verändert hat, ist das Geschlechterverhältnis unter den jungen Häftlingen: Mit knapp sechs Prozent lag der Frauenanteil zwar etwas über den Werten der vergangenen Jahre zwischen vier und fünf Prozent. Es bleibt allerdings dabei, dass junge Männer deutlich öfter eine Haftstrafe absitzen. Warum Männer aller Altersgruppen wesentlich häufiger straffällig würden, darüber "rätseln wir seit Jahren", sagt Hammerschick. Es gebe wohl einen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Rollenbildern, aber wirklich geklärt sei die Frage nicht. Die Rollenbilder würden sich allmählich ein wenig verändern und, junge Frauen würden öfter unerwünschte Verhaltensweisen wie Gewalttätigkeit zeigen, die überwiegend aber nach wie vor bei Männern anzutreffen sind. Noch sind die Veränderungen, die sich in der Haftstatistik niederschlagen, aber gering.