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Keine Kehrtwende der Notenbanken in Sicht

Von Ingrid Szeiler

Gastkommentare
Ingrid Szeiler ist CIO der Raiffeisen Kapitalanlage-Gesellschaft m.b.H.
© Roland Rudolph

Es ist maßlos verfrüht, schon wieder über Zinssenkungen nachzudenken.


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Mehr als 70 Notenbanken weltweit haben heuer bereits einen "großen" Zinsschritt im Ausmaß von mindestens 0,5 Prozent gesetzt. Als jüngstes Beispiel reiht sich die Bank of England in den globalen Tenor ein, dass die Inflationsbekämpfung aktuell das prioritäre Ziel der Geldpolitik ist. Das sollte nicht weiter überraschen angesichts von Inflationsraten, die weit über den Zielwerten liegen und einer Konjunktur, die sich relativ gut hält. Vor allem die Arbeitsmärkte, die für die Notenbanken besonders relevant sind, präsentieren sich bombenfest. Sollte die Konjunktur stärker einbrechen, werden die Notenbanken rasch zurückrudern und Wirtschaft sowie Finanzmärkte wieder mit billigem Geld stützen.

Diese Schlussfolgerung war eine der Triebfedern der jüngsten Erholung an den Aktienmärkten. Immerhin werden für 2023 bereits wieder die ersten Zinssenkungen eingepreist. Hier verharren viele Marktteilnehmer im Muster der Jahre nach der Finanzkrise. Jede Krise beziehungsweise Stressphase am Markt wurde in diesem Zeitraum von den Notenbanken mit zusätzlichen Liquiditätsmaßnahmen gemildert. Die Rechtfertigung dafür waren (zu) niedrige Inflationsraten. Genau hier liegt die Problematik, denn die Inflation ist aktuell viel zu hoch. Deshalb ist es maßlos verfrüht, schon wieder über die nächsten Zinssenkungen nachzudenken. Davor muss die Inflation sinken, was zum Teil auch von der Nachfrageseite kommen muss. Bedeutet: Die Notenbanken werden die Zinsen anheben, bis über eine schwächere Wirtschaft die Inflation sinkt. Die erhoffte Kehrtwende in der Geldpolitik wird daher länger auf sich warten lassen, als manche wahrhaben wollen. Die Währungshüter versuchen, das dem Markt zu signalisieren, was aber geflissentlich ignoriert wird. Die unangenehme Wahrheit wird die Finanzmärkte jedoch früher oder später einholen.

Was Staatsanleihen betrifft, so sind in Italien die Risikoprämien nach den Querelen in der italienischen Innenpolitik und dem Rücktritt von Premier Mario Draghi angestiegen, um kurz darauf wieder zu sinken. Neuwahlen sind für den 25. September 2022 festgelegt worden. Wir erachten italienische Staatsanleihen als attraktiv; darüber hinaus bevorzugen wir in dieser Assetklasse kurz laufende Staatsanleihen (etwa von Deutschlandoder den USA) und rechnen mit einer steileren Zinskurve. Vor allem die US-Zinskurve ist mittlerweile kräftig invers geworden.

Am Unternehmensanleihemarkt präferieren wir aktuell Bankanleihen gegenüber Non-Financials-Anleihen (Industrieanleihen) und bevorzugen Investmentgrade-Anleihen gegenüber High-Yield-Unternehmensanleihen. Die Risikoprämien Letzterer signalisieren zwar deutlich angestiegene Ausfallsrisiken, diskontieren unserer Meinung nach jedoch noch nicht ausreichend eine zu erwartende Abkühlung der konjunkturellen Entwicklung. Auch deutsche Pfandbriefe sind weiterhin attraktiv.

Die internationalen Aktienmärkte konnten zuletzt deutlich zulegen. In Bezug auf die Rückgänge bei den Vorlaufindikatoren scheint daher die Hoffnung auf weniger aggressive Notenbanken die Sorge vor einer deutlichen Gewinneintrübung zu überwiegen. Das restriktiver werdende Liquiditätsumfeld bleibt aber einer der größten Belastungsfaktoren.