Die Wirkung der Antidepressiva wird in den Medien unterschiedlich dargestellt. Zum einen sollen sie wie Placebos sein (siehe den "profil"-Beitrag "Pharmamorgana" im März), zum anderen werden Placebo-kontrollierte Studien als ethisch bedenklich dargestellt, wie etwa in einem neuen Buch von Hans Weiss ("Korrupte Medizin"); Forscher, die Placebo-kontrollierte Studien durchführen, werden sogar reißerisch als "korrupt" bezeichnet.
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Um die Absurdität dieser Behauptung darzustellen, sei festgehalten, dass die Notwendigkeit von Placebo-kontrollierten Studien bei depressiven Patienten von den Zulassungsbehörden sowohl in Europa als auch in den USA gefordert wird. Das heißt im Klartext: Es ist kein Antidepressivum in Österreich, in Europa oder in den USA in Verwendung, das nicht in einer Placebo-kontrollierten Untersuchung auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen geprüft wurde. Wie an vielen anderen europäischen Universitätszentren werden selbstverständlich auch an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien psychopharmakologische Untersuchungen nach jeweils detaillierter individueller Prüfung nur durchgeführt, wenn sie die zuständige Ethikkommission und der Krankenhausträger genehmigt haben und ihnen die Deklaration von Helsinki zugrunde liegt.
Bei Placebo-kontrollierten Studien zu Depressionen ist es wichtig, dass Patient keinen Schaden erleiden, was eindeutige Ein- und Ausschlusskriterien für die Teilnahme regeln. Darüber hinaus wird festgelegt, wann ein Patient aus einer Studie zu nehmen ist. Die Patienten geben nach umfangreicher Aufklärung ihr schriftliches Einverständnis für die Teilnahme an der Therapie-Studie, das sie jederzeit zurücknehmen können, ohne dass Nachteile drohen.
Zu Placebo-kontrollierten Studien sei angemerkt, dass zwar eine Placebo-Pille verabreicht wird - dies bedeutet aber nicht, dass keine Behandlung stattfindet: Die gesamte Studie hindurch wird regelmäßig ausführlich über die Befindlichkeit der Patienten gesprochen, und die Literatur belegt, dass sich die Studienteilnehmer dabei gut betreut fühlen.
Wenige Universitätszentren sind in der Lage, diese umfangreichen Studien durchzuführen. Daraus zu schließen, dass es sich dabei um besonders korrupte Mediziner handelt, wie es Herr Weiss offenbar in seinem Buch tut, geht an der Realität vorbei. Und eine indirekte Verbindung zu NS-Verbrechen zeigt die Absurdität der Argumentationen.
Ich hoffe, dass mein Gastkommentar nicht zur weiteren Verbreitung des Buches beiträgt, sondern eine sachgerechte Aufklärung über notwendige, patientenbezogene psychopharmakologische Forschung darstellt, wie sie auch auf der Homepage der MedUni Wien und der zuständigen Ethikkomission nachzulesen ist - diese Mühe hat sich Herr Weiss wohl nicht gemacht, da es seiner "Story" abträglich gewesen wäre.
Siegfried Kasper ist Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien.