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Keine Krise wie jede andere

Von Gerhard Stadler

Wirtschaft

Die Pandemie wird die Flugbranche nachhaltig verändern - auch in Österreich.


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Krisen der Luftfahrt gab es schon mehrere: 9/11, der Irakkrieg, die Sars- und die Vogelgrippe-Epidemie, die Finanzkrise, Islands Aschewolken. In jeder gab es Passagierrückgänge um 10 bis 20 Prozent, doch diese Dellen wurden stets nach wenigen Jahren kompensiert durch stärkeres Wachstum bei den Passagierzahlen und ein geringeres bei den Flugbewegungen, da größere Flieger auf den Markt kamen.

Die Wachstumsschübe folgten dem Wiedererstarken der Weltwirtschaft und der Liberalisierung der Rahmenbedingungen. Diese erlaubten neben dem Netzwerk der "National Carrier" einer volatilen Zahl der "Low Cost Carrier" den Markteintritt, was die Ticketpreise fallen ließ. Auch 2019 brachte Passagierrekorde: 4,5 Milliarden weltweit und 36 Millionen auf Österreichs Flughäfen, alles bei Bestwerten auch der Flugsicherheit.

Düstere Aussichten für die gesamte Branche

Mit der Corona-Krise ist der Weltluftverkehr eingebrochen, in Europa binnen zwei Monaten um bis zu 90 Prozent. Dieser Einbruch ist wesentlich stärker und ein Ende mangels Impfung und Medikation nicht in Sicht. Weiters sind wir in einer Weltwirtschaftskrise gefangen: für Europa 2020 werden zwischen 6 und 10 Prozent Minus und geringes Wachstum ab 2021 erwartet. Die Erfahrung zeigt, dass die Entwicklung der Luftfahrt immer mit der Wirtschaft der Region korreliert. Der in den letzten Jahren auf ein Drittel gestiegene Anteil von Privatreisenden - gegenüber zwei Drittel Geschäftsreisenden - ist getroffen vom schrumpfenden Einkommen der Privathaushalte. Selbst die ältere Generation, die über mehr Geld und Zeit verfügt, wird wegen des Erkrankungsrisikos vermehrt Fernflüge scheuen. Und die gute Erfahrung mit Telekonferenzen könnte auch die Zahl der Berufsflieger reduzieren.

Wie groß der Einfluss der Umweltschutzbewegungen sein wird, lässt sich nicht abschätzen. Doch klar ist: Eine wesentliche Verringerung der Umweltbelastung durch Fluglärm oder Emissionen wird in absehbarer Zeit nur mittels Reduktion der Flüge erreichbar sein; Verbesserungen durch neue Flugzeuge wären geringfügig möglich, verlangen aber wesentliche Investitionen.

Von der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol ist seit 25. April eine Vorhersage im Internet mit Kurz-Videos unter "Covid-19 impact on the European air traffic network" abrufbar: Kalkuliert wird, dass sich bis zum Jahresende die Zahl aller Flüge in Europa auf etwa 25 Prozent weniger als Ende 2019 erholen könnte, wobei bei den Frachtflügen die Reduktion geringer sein dürfte. Angenommen wird dabei, dass Grenzsperren und Quarantäne in Europa aufgehoben werden. Dies wird wohl erst nach einem weiteren wesentlichen Rückgang der Ansteckungen erfolgen.

Fliegen wird teurerund noch unbequemer

Alle Staaten und Gesellschaften sind und bleiben auf internationale Beziehungen und damit Luftfahrt angewiesen, doch auch mittelfristig wird die Branche ihr Niveau von 2019 kaum erreichen. Neben den bereits genannten Gründen werden neue Unbequemlichkeiten die Nachfrage bremsen: Die Infektionskontrolle vor dem Abflug, die zu längeren Check-in-Zeiten führen wird, und die Maskenpflicht. Den finanziellen Einbußen der Fluggesellschaften, die jetzt nur Ausgaben und kaum Reserven haben, werden höhere Ticketpreise folgen müssen. Und soweit die gegenwärtige Abstandspflicht in Verkehrsmitteln bleibt, wird sich der für den finanziellen Erfolg eines Fluges entscheidende "Load Factor" verringern müssen, auf etwa 45 Prozent zahlende Passagiere - die AUA wies 2019 noch 80 Prozent auf.

Aus der Liquiditätsschwäche der meisten Airlines entstehen - begründet mit der Bedeutung von Flugverbindungen für die Volkswirtschaft und drohenden Arbeitsplatzverlusten - nun Forderungen nach Finanzhilfen, wenigstens in Form von Überbrückungskrediten mit staatlicher Garantie. Die Regierungen, auch die österreichische, fordern im Gegenzug Sparmaßnahmen, Standortgarantien, ökologischen Luftverkehr und die Beibehaltung von Drehkreuzfunktionen für den Heimatflughafen. Offen blieben bisher die Fragen eines künftigen Regierungseinflusses auf die operativen Airline-Geschäfte sowie, ob ein Konkurs wirklich eine nationale Katastrophe wäre.

Mit Swissair und Sabena gab es in Europa zwei Konkursfälle mittelgroßer Airlines, wo es trotz Reduktionen doch zu Lösungen kam, die die Flugbedürfnisse einer Volkswirtschaft stillten - samt Weiterbeschäftigung großer Teile des Personals. Doch das Wort "Bedürfnisse" ist schwierig zu definieren: Soll ein Staat eine Fluggesellschaft finanziell stützen, um Wünsche auf Urlaub im Ausland zu erfüllen? In anderen Fällen wurden zwar die kostendeckenden Flüge von ausländischen Gesellschaften ersetzt, aber die Hubfunktion ging verloren, was den Heimatflughafen schädigte.

Österreich hat eine hohe Anzahl von Passagieren - in Relation zur Einwohnerzahl weniger als die Schweiz, doch mehr als Deutschland oder Belgien. Die AUA hat 83 Flugzeuge aus sieben Typen, mit einem Durchschnittsalter von 14,4 Jahren und 2019 14,7 Millionen Passagiere, in Schwechat liegt ihr Marktanteil bei fast 45 Prozent.

Mit der oben skizzierten Situation ist nun auch die AUA konfrontiert, wobei für eine Lösung via Finanzzuschuss erschwerend hinzukommt, dass seit 2010 die Aktiengesellschaft - nach einer komplizierten Übernahme - zum Konzern der Lufthansa gehört. Diese kann der AUA die Entscheidungen vorgeben, was bis zur Flotten- , ja Routenplanung und dem Flugplan gehen kann.

Welches Flugangebotbraucht Österreich?

Der Betrieb einer Fluggesellschaft ist zu einem guten Teil von "Economies of Scale" bestimmt, das heißt, je größer die Einheiten sind, desto geringer werden die Kosten je Einheit. Damit kann die AUA, gegen Kostenbeiträge, von der etwa sechs Mal größeren Lufthansa profitieren, vor allem bei Außenstellen, Bonussystem, Versicherungen, Schulung und Wartung. Wenn nun die AUA "gesundschrumpfen" soll, droht eine weitere Ausdünnung auf der Langstrecke. Allerdings ist es ohnehin fraglich, da die Lufthansa im Langstreckenbereich nach Passagieren sucht, ob Langstreckenverbindungen ab Wien noch eine lange Zukunft haben. Und würde den Bedürfnissen der Österreicher und des Flughafens nicht auch entsprochen, wenn auf einem Linienflug von Schwechat nach den USA auf der Heckflosse der blau-weiße Kranich wäre? Für den Flughafen Schwechat sollte das Drehkreuz hingegen weiter für den Mittelstreckenverkehr gesichert werden, das West- mit der Wachstumsregion Südosteuropa verbindet, und in den vorderen Orient.

Nicht vergessen werden darf auf die fünf Regionalflughäfen. Sie sind, sieht man von ihrer Rolle bei Saisonflügen für den Tourismus ab, für den Ganzjahresbetrieb auf die AUA-Regionalflüge nach Wien angewiesen. Aber könnten diese Flüge auf der Weststrecke, wo die Bahn fast systemzeitgleich fährt, nicht durch mehr Flüge nach den Drehkreuzen der Lufthansa ersetzt werden?

Doch das Schwierigste der laufenden Verhandlungen wird wohl sein, dass die österreichische Politik mit der Lufthansa eine Lösung vereinbart, die der AUA den für die Bestandssicherung notwendigen operativen Freiraum sichert. Und zwar bleibend.

Gerhard Stadler war Sektionschef im Verkehrsministerium, dann Direktor der Europäischen Flugsicherungsorganisation.