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Keine Lizenz zum Töten

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare

Osama bin Laden ist tot, und die Welt jubeln. Doch der militärische Coup könnte zu dem fatalen Schluss führen, dass der Terrorismus sich doch mit Waffengewalt niederringen lässt.


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Man kann keine Ideen aus Köpfen bomben, diese Erkenntnis ist so alt wie das Kriegshandwerk selbst. Das Aufeinanderprallen religiösen Eiferertums in seiner derzeitigen Heftigkeit ist der beste Beweis.

Menschen aufgrund von Anschuldigungen - und seien sie noch so erdrückend - zu liquidieren, ist um nichts besser als das, was die freiheitliche Welt den religiösen Fanatikern vorwirft. Der Makel an Bin Ladens Tötung sind die Worte "vermutlich" und "angeblich". Beweise zu erbringen, wäre Sache eines Gerichts gewesen. Das macht den Wertekanon einer freiheitlichen Gesellschaft aus.

Der US-Präsident stimmte in die "Goodbye, Bin Laden"-Euphorie nicht ein. Er wird wissen warum. Abgesehen vom innenpolitischen Profilgewinn für Barack Obama birgt die Militäraktion unkalkulierbare Risiken. Die Freiheitsbestrebungen in Nahost könnten zusammenbrechen, weil solche "Liquidierungen" propagandistischer Honig für religiöse Hardliner in der Region sind. Es ist die emotionalisierende Macht der Bilder, die um den Globus wandern und fanatisieren können.

Bin Laden stand für ein Konzept der Gegenwehr, das aus politischer Ohnmacht heraus entstand. Terror ist wegen seines menschenverachtenden Charakters ein scharfes Schwert. Der Gedanke der Freiheit, der in Nahost erste zarte Blüten treibt, bedarf anderen Düngers als prahlerischer Genugtuung entfesselter Menschen, die den Tod in teenagerhafter Manier bejubeln. Es verbietet sich von selbst, den Tod eines Menschen zu bejubeln - unabhängig von jeder Religion. Menschen, die durch 9/11 Angehörige verloren, werden Genugtuung empfinden. Das ist verständlich. Angehörige von Soldaten, die im Anti-Terror-Kampf ihr Leben ließen, werden den Verlust jetzt vielleicht besser verkraften. All das verlangt Respekt. Vor diesen Menschen gilt es, sich in Stille zu verbeugen.

Der Tod ist tragisch, niemals ein Grund zur Freude. Der Vatikan hat dies in seiner Stellungnahme zu Bin Ladens Tod unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Und er hat recht. Staatsführer, die seinen Tod als "gute Nachricht" bezeichneten, haben damit moralische Grundsätze in Frage gestellt.

Den Westen und insbesondere die Politik des Ex-US-Präsidenten George W. Bush, mit seiner eindeutig militärisch ausgerichteten Komponente, trifft eine Mitschuld am Erstarken des Terrorismus. Der Einmarsch in Afghanistan als Reaktion auf die Ereignisse von New York und der auf Lügen basierende Überfall auf den Irak waren von unerträglicher Arroganz der Macht überstrahlt, mit der westliche Werte in den Mülleimer der Moral geworfen wurden. Es ging und geht um geopolitische Erwägungen, um nichts anderes. Demokratie-Export, das war der Türöffner für knallharte Interessenpolitik. Und genau das war der Nährboden, auf dem Bin Laden seine Saat ausbrachte. Für die Folgen seines Tuns hätte er büßen müssen - nach einem fairen Gerichtsprozess. Doch der ist nicht möglich. Die Freiheitsbewegungen in Nahost werden es registriert haben.

Alexander von der Decken ist Redakteur beim "Weser Kurier" in Bremen.

Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.