Die Erwartungen waren schon vor dem Treffen in Moskau gedämpft. Es war absehbar, dass weder Russland noch die USA von ihren Positionen im Streit um den Raketenabwehrschild abrücken würden. Die USA bleiben weiterhin bei ihrer Behauptung, das technisch noch unausgereifte System zum Schutz vor Atomraketen sei notwendig, um in der Zukunft liegende Bedrohungen etwa aus dem Iran abwehren zu können.
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Moskau wiederum sieht in der Stationierung der Systemkomponenten vor seinen Grenzen einen weiteren Beweis für die Expansionsgelüste der US-Hegemonie, die ihre Fühler ja auch in Richtung Ukraine und Georgien ausstreckt. Damit würde Russland noch weiter ins Hintertreffen geraten, nachdem das Gleichgewicht des Kalten Krieges zwischen den damaligen Supermächten längst zerstört ist.
Damit argumentierte man auch beim im Juli aufgekündigten Abrüstungsvertrag für konventionelle Streitkräfte. Der Kreml sah die darin vereinbarten Schritte von Nachbarländern nicht erfüllt, die einst in seinem Einflussbereich lagen und heute teilweise der Nato angehören. Nun versucht Russlands Präsident Wladimir Putin, einen weiteren Abrüstungsvertrag, in dem es um Mittelstreckenraketen geht, als Druckmittel zu benutzen.
Putins letzter Coup, den Amerikanern die gemeinsame Nutzung einer Radarabwehranlage in Aserbeidschan vorzuschlagen, ist ja offenbar misslungen. Die vom überraschten US-Präsidenten George W. Bush zugesagte Prüfung des Angebots hat erwartungsgemäß ergeben, dass eine solche Zusammenarbeit nur eine Ergänzung für die Pläne in Osteuropa sein könnte.
Ein Aspekt von Putins Statement gegenüber der US-Delegation lässt allerdings aufhorchen: Er hat die Gäste nicht aufgefordert, die Verhandlungen mit den Stationierungsländern aufzugeben, sondern lediglich, die Verhandlungen so lange nicht zu forcieren, wie die bilateralen Verhandlungen zwischen USA und Russland andauern.
Diese scheinbar defensive Haltung deutet allerdings nicht nur auf den Umstand hin, dass Moskau auf längere Sicht gegenüber den USA die schlechteren Karten haben dürfte. Putin setzt vielmehr auf Zeitgewinn. Denn zum einen stehen in Russland zwei wichtige Wahlen bevor - und Putin wird vermutlich nicht mehr als Präsident, aber als Ministerpräsident an den Schalthebeln der Macht bleiben. Da kommt ein Nachgeben gegenüber dem Westen in dieser wie auch in anderen Fragen, etwa in der Haltung zum Iran oder zum Kosovo, nicht in Frage.
Zum anderen weiß Putin, dass seinem Präsidentenkollegen die Zeit davon läuft. Denn Bush bleibt nur noch ein wenig mehr als ein Jahr, um seinen Traum eines weltumspannenden Raketenschutzschildes zu verwirklichen. Nach den US-Wahlen im November 2008 könnten den neuen Präsidenten andere Visionen erfüllen. Seite 8