Zum Hauptinhalt springen

"Keine Nazi-Kollaborateurin"

Von Alexander U. Mathé

Kommentare

Russische Athletin wird wegen Olympia-Teilnahme als "Landesverräterin" beschimpft.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Ich bin weder eine Landesverräterin noch eine Nazi-Kollaborateurin!" - Worte, die man vielleicht einer Französin jenseits der 90 zuordnen würde. Doch sie stammen von einer blutjungen Russin, die sich gegen solche Vorwürfe in ihrer Heimat wehrt, wie die argentinische Zeitung "Clarín" berichtet. Ihr Vergehen? Sie hat beschlossen, bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro für ihre Heimat anzutreten. Darja Klischina ist die größte Hoffnung auf eine olympische Medaille unter russischen Leichtathletinnen. Genauer gesagt ist sie die einzige. Nicht etwa, weil sie sich als doppelte Hallen-Europameisterin dafür besonders empfiehlt, sondern, weil die anderen Athleten wegen systematischen Dopings von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wurden. Letzterer Umstand hat in Russland zu einer Welle der Empörung geführt. Nachdem 68 Ausnahmeantrage vom Internationalen Leichtathletikverband (IAAF) abgelehnt wurden, hätte es manch einer in Russland gern gesehen, dass als Zeichen des Protests alle Athleten geschlossen zu Hause bleiben. Doch dann bekam Klischina grünes Licht. Dies deshalb, weil sie seit drei Jahren in Florida trainiert und dadurch - wie behauptet wird - einer strengeren Doping-Kontrolle unterliegt als die anderen Top-Athletinnen, die allesamt in Russland trainieren. Dass Klischina also als einzige russische Leichtathletin an der Olympiade teilnimmt, sorgte in Russland erneut für Empörung. Ein Journalist der Zeitung "Komsomolskaja Prawda" verglich die 25-Jährige mit einer Nazi-Kollaborateurin, während auf sozialen Medien ein Shitstorm gegen die "Verräterin" losgetreten wurde. "Mein Agent und meine Familie haben mir sofort gesagt: ,Schau nicht ins Internet, lies nichts‘", erklärt Klischina. Doch diesen Rat hat sie offenbar nicht befolgt und sich nun öffentlich gegen die Vorwürfe verteidigt. Die Affäre um die Doping-Sperren an sich ist schon zum internationalen Politikum avanciert, nachdem sich Präsident Wladimir Putin persönlich zu Wort gemeldet hat und die Entscheidung "eine Verletzung aller Rechtsgrundsätze" nannte. Der Fall Klischina bildet nun ein weiteres Kapitel, denn ob sie tatsächlich in Rio an den Start gehen darf, hängt offenbar von Moskau ab. "Die IAAF hat ihr erlaubt, anzutreten, jetzt muss Russlands Olympiakomitee seine Wahl treffen", zitiert die französische Nachrichtenagentur afp den Chef des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach. Der russische Sportminister Witali Mutko hat ihr jedenfalls den Rücken gestärkt: "Die Angriffe auf Darja sind übertrieben... Sie hat immer würdevoll für unser Land gekämpft. Ich denke, das Einzige, das man tun muss, ist, sie zu unterstützen." Und vielleicht gibt es ja auch noch für andere russische Athleten eine Chance, denn die endgültige Entscheidung über die Doping-Sperren fällt nächste Woche vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne.