)
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Sonntagabend war mit Sicherheit nicht der glorreichste Moment in der europäischen Geschichte der "Grande Nation". Die deutliche Ablehnung der Europäischen Verfassung war eine schallende Ohrfeige für Frankreichs Politik, vor allem für Staatspräsident Jacques Chirac, und sandte Schockwellen quer durch Europa.
Dieser bestürzende Erfolg der EU-Gegner, Demagogen und Nationalisten in Frankreich - immerhin einem Gründerstaat der EU und lange als Motor der Integration bezeichnet - ist mehr als nur bedauerlich. Bei allem Bedauern muss man jetzt aber auch ruhig innehalten. Die Feststellung ist notwendig, dass dieser Sonntag keine Niederlage für das erfolgreiche Friedens- und Demokratieprojekts Europäische Union war. Das französische Referendum brachte auch noch keine Niederlage der europäischen Verfassung, mit der die Europäische Union transparenter, demokratischer und bürgernäher werden soll.
Jetzt ist eine genaue und sachliche Analyse der Entscheidungsgründe der Franzosen gefragt. Mit Sicherheit haben die Innenpolitik, eine unbeliebte Regierung und die Zumischung verschiedenster sachfremder Themen eine nicht unmaßgebliche Rolle gespielt. So sehr die Verfassung und ihr eigentlicher Inhalt auch im Vordergrund der Debatte hätten stehen sollen, so sehr haben sachfremde Themen, Sorgen und Ängste die Entscheidung geprägt.
Insofern ist das französische Ergebnis zweifelsohne auch eine schallende Ohrfeige für die mangelhafte und zögerliche Informations- und Kommunikationspolitik über die Europäische Union. Und hier ist bei weitem nicht nur Frankreich alleine betroffen. Das alte und in vielen Regierungen quer über den Kontinent so beliebte Doppelspiel 'hier Innenpolitik, dort Europa' verhindert solche Ergebnisse eben nicht. Im Gegenteil: Es befördert und ermöglicht sie erst. Wer bis heute nicht erkannt hat, dass Europapolitik und Innenpolitik bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufs Engste, ja untrennbar miteinander verbunden sind, den sollte das Nein der Franzosen von Sonntagabend endgültig aufgeweckt haben.
Europas Entwicklung ist an diesem Sonntag nicht gegen eine Wand gefahren. Es wird jedoch zu einer Verzögerung im Ratifikationsprozess kommen, daran besteht jedenfalls kein Zweifel. Für die kommenden Wochen und Monate ist einmal wichtig, dass der Ratifikationsprozess in den noch ausstehenden Staaten mit vollem Einsatz fortgesetzt wird. Ich hoffe und erwarte, dass kein Land diesen Prozess verzögert oder gar abbricht. Immerhin haben bereits neun Mitgliedstaaten die EU-Verfassung in Referenden oder auf parlamentarischem Wege positiv ratifiziert und haben sie alle Staats- und Regierungschefs sowie die Außenminister unterzeichnet. Und nur in einem Land, nämlich in Frankreich, hat es eine Ablehnung gegeben. Ich bin überzeugt davon, dass es noch in der übergroßen Mehrheit der anderen EU-Mitgliedstaaten positive Entscheidungen geben wird. Die EU-Verfassung selbst sieht ja vor, dass bei einer positiven Annahme des Textes in vier Fünftel der Mitgliedstaaten die EU-Staats- und Regierungschefs beraten werden, wie mit diesem Endergebnis umzugehen ist.
Die Staats- und Regierungschefs sowie alle nationalen Parlamente - sie alle waren im Verfassungskonvent vertreten - sind aber schon heute in die Pflicht genommen, ihre gemeinsamen Bemühungen zu verstärken, die Vorteile der EU-Verfassung besser und stärker zu kommunizieren. Europa kann man eben nicht einfach im Vorbeigehen erledigen, quasi als lästige Nebenaufgabe. Europa ist zu einem integralen Bestandteil unseres Lebens geworden. Das wurde in Frankreich offenbar übersehen. Und das sollte in der EU in Hinkunft nie wieder übersehen werden.
MEP Mag. Othmar Karas ist Europaparlamentarier der ÖVP und Vizepräsident der EVP-ED-Fraktion im Europäischen Parlament