Alexander van der Bellen, Bundespräsident der Republik Österreich, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
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"Wiener Zeitung": Herr Bundespräsident, auf der gegenüberliegenden Seite des Ballhausplatzes verhandeln SPÖ und ÖVP seit Freitag über einen Neustart der Koalition. Vieles deutet auf eine Einigung hin, aber wären Neuwahlen nicht der ehrlichere Weg aus der verfahrenen Situation dieser Bundesregierung?
Alexander Van der Bellen: Warum? Ich habe in meinem langen Leben schon etliche sogenannte Regierungskrisen erlebt. Manche sind gut ausgegangen, manche nicht.
Wie wird diese Krise ausgehen?
Ich hoffe sehr, dass die beiden Regierungsfraktionen sich auf Dinge einigen, die wichtig und auch relativ dringlich sind. Im Moment sehe ich keinen Grund, von meiner Zuversicht abzuweichen.
Neuwahlen sind also vom Tisch?
Neuwahlen sind immer eine Option, wenn sie der Nationalrat beschließt. Ich würde Sie nur bitten, nicht der Panik des Augenblicks anheimzufallen.
Sowohl SPÖ als auch ÖVP wollen das Wahlrecht ändern, Kanzler Kern hat die Einführung eines Mehrheitswahlrechts samt Bonus für die stärkste Partei gefordert, die dann auch gleich den Kanzler stellen soll. Was halten Sie davon, zumal Sie ja dann das Recht, den Kanzler zu ernennen, verlieren würden?
Grundsätzlich gibt es hundert Möglichkeiten, das demokratische Wahlrecht zu definieren. Von daher ist es legitim, darüber nachzudenken, ob und wie man es anders machen könnte. Darüber zu entscheiden, ist dann Sache einer Mehrheit im Parlament – und das bezieht sich auch auf die Rechte des Bundespräsidenten. Ich würde eine solche Mehrheit natürlich zur Kenntnis nehmen, es sollten aber schon auch namhafte Verfassungsrechtler befragt werden. Die Verfassung stellt auch eine komplexe Form von "Checks and Balances" dar, und man sollte vorsichtig sein, hier nur an einem Rädchen etwas zu ändern.
Sie selbst haben im Wahlkampf dazu eingeladen, die Kompetenzen des Bundespräsidenten auf ihre Zeitgemäßheit hin zu überprüfen. SPÖ und ÖVP nehmen das dankend an, zählt man alle Vorschläge zusammen, wäre das Amt abgeräumt wie ein Christbaum zu Mariä Lichtmess Anfang Februar.
Wissen Sie, über alle diese Ideen und noch viel mehr wurde schon beim Österreich Konvent vor mehr als zehn Jahren diskutiert. Und was wurde beschlossen? Wenig bis nichts. Aber natürlich könnte man darüber diskutieren. Ich habe allein am Samstag als erste Amtshandlung hundert, wenn nicht 200 Verleihungen unterschrieben: Ökonomierat, Kommerzialrat, Studienrat . . . Ich mache das gern, aber genauso gut könnte es auch der Bundesminister machen.
Sie glauben also, dass bei Ihren Kompetenzen alles beim Alten bleibt?
Das weiß ich nicht, aber bis jetzt sind das alles Aussagen einzelner Politiker. Auf jeden Fall würde ich jeden diesbezüglichen Beschluss des Parlaments akzeptieren. Aber wir werden ja sehen, wer mit seinen Vermutungen richtig liegt: Sie oder ich.
Mit Ihrer Ansage zum Akademikerball nach dem Motto "Lasst sie doch tanzen" haben Sie einige verblüfft.
Das mag sein, sie war aber, jedenfalls was mich betrifft, nicht neu. In jeder liberalen Demokratie gibt es Minderheitenrechte, einen Ball zu feiern, gehört für mich dazu. Für mich ist auch die Hofburg kein besonders symbolträchtiger Ort für unsere liberale Demokratie, da würde ich eher an das Parlament denken. Die eigentlich interessante Frage ist für mich, wer dort auftritt. Wenn Madame Le Pen oder Herr Wilders dort Hof halten, dann wird dieser Ball zu einer politischen Veranstaltung. Aber auch dann soll man über die Politik, die da dahinter steht, und nicht über den Ball diskutieren.
Aber kann man in diesem Fall Politik und Ball so sauber trennen, das ist miteinander verwoben?
Das ist deren Problem, ich tue es auf jeden Fall. Die Demonstrationen richten sich gegen die Politik und nicht gegen das Tanzen. Man darf selbstverständlich dagegen demonstrieren, ich war halt nur nie dabei.
Ist diese Haltung Ihre Strategie, jene 46 Prozent, die Sie nicht gewählt haben, davon zu überzeugen, dass Sie ein Bundespräsident für alle Österreicher sein wollen?
Es ist interessant, dass jeder Griff zur Kaffeetasse als politischer Akt bewertet wird, wenn es sich dabei um den Bundespräsidenten handelt. Daran werde ich mich erst gewöhnen müssen.
Also nein?
Das habe ich nicht gesagt.
Themenwechsel: Donald Trump sorgte bereits in seiner ersten Amtswoche mit Entscheidungen für Aufregung. Insbesondere sein Einreiseverbot für Staatsbürger etlicher muslimischer Staaten sorgt für Empörung.
Das ist natürlich diskriminierend. Ich habe schon im Vorfeld der Wahl Stil und Inhalt des Trumpschen Wahlkampfs kritisiert. Mit Bedauern muss ich jetzt feststellen, dass die bisherigen Erfahrungen einen nicht zuversichtlicher stimmen. Die Frage ist, was wir Europäer tun können: Wollen wir in ein ähnliches Fahrwasser geraten, oder sind die EU-Staaten bereit zu erkennen, dass der alte Nationalismus eine Sackgasse ist, die uns nicht nur einmal in den Abgrund geführt hat? Das wird die eigentlich entscheidende Frage für Europa sein.
Europa wird sicherheitspolitisch auf eigenen Füßen stehen lernen müssen, das bedeutet mehr Ausgaben für Militär und Rüstung, den Aufbau einer EU-Armee. Soll auch Österreich hier mitarbeiten?
Hier gebietet die Neutralität gewisse Grenzen, aber Österreich braucht sich nicht zu verstecken, was die Mitwirkung an internationalen Friedenseinsätzen angeht. Wenn Präsident Trump seine Ankündigungen so wie bisher wahr macht, werden wir uns mit den außen- und sicherheitspolitischen Folgen für Europa auseinandersetzen müssen. Wobei die Kritik aus den USA an zu niedrigen Verteidigungsausgaben der Nato-Partner ja nicht neu ist; neu ist, dass ein US-Präsident die Nato als obsolet erklärt.
Letzte Frage: Werden Sie im Alter eigentlich konservativer?
Ich war am Samstag auf dem Wissenschaftsball, und wenn ich an die Mädchen denke, die mir so wahnsinnig jung vorkamen und die alle ein Selfie mit mir wollten, dann glaube ich nicht, dass ich so viel konservativer geworden bin, weil das würde die nicht mögen, vermute ich jedenfalls.
Etliche Aussagen von Ihnen, etwa jetzt zum Akademikerball oder zum Bundesheer, deuten auf eine gesunde innere Distanz zu den Aufgeregtheiten der Tagespolitik hin.
"Gesunde innere Distanz" unterschreibe ich sofort, aber das hat nichts mit konservativ zu tun.
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Das Interview wurde gemeinsam mit Kollegen des "Standard" geführt.