In Südkoreas Hauptstadt zeigt sich die Bevölkerung von der Nordkorea-Krise weitgehend unbeeindruckt - sie schwankt zwischen Gelassenheit und Fatalismus.
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Seoul. Wer sich an diesem verregneten Sommerabend im Seouler Stadtzentrum umschaut, sieht Männergruppen in dunklen Anzügen von Grillrestaurants auf die Straße torkeln. Die Cafés sind gefüllt mit turtelnden Pärchen, die Händchen haltend an eisgekühltem Filterkaffee nippen. In den Straßenschluchten kämpfen Taxifahrer um die Feierabendkundschaft - Alltag eben. Von Massenpanik oder Evakuierungen weit und breit keine Spur.
Dabei spielt sich nur eine Autostunde nördlich in Nordkorea eine politische Katastrophe sondergleichen ab. Am plakativsten hat der "Economist" mit seinem aktuellen Titelbild die allgemeine Hysterie illustriert: Die grimmigen Konterfeis von Donald Trump und Kim Jong Un sind dort zu sehen - geformt aus den Wolken eines Atompilzes. "Es könnte passieren", prangt in schwarzen Lettern über diesem dystopischen Szenario. Gemeint ist: ein atomarer Krieg.
"Halt es für Säbelrasseln"
Dieser scheint derzeit so realistisch wie zuletzt während der Kubakrise 1962. Laut Enthüllungen der "Washington Post" ist das nordkoreanische Nuklearprogramm bereits wesentlich fortgeschrittener als bisher angenommen. Zudem hat Nordkorea am Donnerstag erneut seine Pläne über einen Raketenanschlag auf die US-Pazifikinsel Guam bekräftigt - in für nordkoreanische Verhältnisse geradezu luzider Sprache und mit detaillierten Plänen: Die Hwasong-12 Mittelstreckenrakete würde unter anderem über Hiroshima fliegen und nach 18 Minuten in der Luft dann rund 30 Kilometer vor der Küste Guams einschlagen.
"Das klingt natürlich beunruhigend. Dennoch halte ich das aber noch eher für Säbelrasseln", sagt Lars-André Richter von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, die der deutschen FDP nahesteht. Nordkorea würde vor allem auch provozieren, um Aufmerksamkeit zu erreichen, die das Regime zu innenpolitischen Zwecken brauche. "Aber aus der Geschichte wissen wir, dass Konflikte schnell eine Eigendynamik bekommen können - vor allem, wenn man es mit gleich zwei eher schwierigen Persönlichkeiten zu tun hat wie mit Trump und Kim Jong Un."
Welch tragische Auswirkungen auch ein konventioneller Krieg ohne Nuklearwaffen haben könnte, lässt sich im südkoreanischen Ballungsraum Seoul beobachten: Knapp 25 Millionen Menschen leben im Radius von rund 1000 Artilleriegeschossen, die nördlich der Demarkationslinie in den Berghängen bereitstehen.
Die 26-jährige Jeon Hae In aus dem nördlichen Seouler Vorort Euijeongbu zeigt sich dennoch wenig beeindruckt von der politischen Lage: "Nordkorea droht ja immer wieder mit Krieg, aber am Ende ist nie etwas passiert." Am Vorabend habe sie zuletzt mit ihrem Bruder telefoniert, der direkt an der Demarkationslinie seinen zweijährigen Wehrdienst ableistet: "Der wusste noch gar nicht Bescheid, was heute überhaupt passiert ist." Doch auch sie räumt ein: "Diesmal fühlt es sich ein wenig anders an - Trump würde ich alles zutrauen."
Präsident unter Zugzwang
Die Englischstudentin Lee Ji Yoon hält den US-Präsidenten ebenfalls für unberechenbar, glaubt allerdings an die Vernunft ihrer Regierung: "Wenn er einen Krieg befiehlt, würden seine Sicherheitsberater das nicht mitmachen", sagt die 23-Jährige. Gegen die nordkoreanische Bevölkerung hege sie keinen Groll, nur gegen die politische Führung in Pjöngjang.
Dennoch habe sie keinerlei emotionale Bindung mehr zum nördlichen Nachbarn. Einmal in ihrem Leben sei sie beim Familienurlaub in Ägypten zufällig auf einen Nordkoreaner getroffen: "Als der mich angesprochen hat, konnte ich ihn nicht einmal richtig verstehen - der Dialekt ist fast wie eine andere Sprache."
Der überzeugte Pazifist Moon Jae In, seit Mai südkoreanischer Präsident, tritt zwar politisch für eine Annäherung mit Nordkorea ein. Dennoch sieht er sich nach seinen von Nordkorea ausgeschlagenen Gesprächsangeboten nun unter Zugzwang.
Er rief am Mittwoch zu einer "vollständigen" Militärreform auf und bat in Washington um eine Neuverhandlung des bilateralen Militärbündnisses, um mächtigere Raketensprengköpfe herstellen zu dürfen. Ziel sei jedoch weiterhin, Nordkorea zum Dialog zu bewegen.
Der konservativen Opposition gehen die Verteidigungspläne der Regierung nicht weit genug. Die Liberty Korea Partei rief bereits am Montag dazu auf, dass das US-Militär atomare Sprengköpfe auf südkoreanischem Boden stationieren solle: "Frieden werden wir nicht erreichen, wenn wir darum betteln, sondern nur durch ausgeglichene Macht", sagte Parteivorsitzender Hong Joon Pyo.
Vielleicht hilft in der ausweglosen Situation auch nur mehr göttliche Hilfe. In einer Messe am Donnerstag hat sich nun auch der Erzbischof von Seoul zu der Nordkorea-Krise geäußert: "Ich bete dafür, dass Nordkorea die nukleare Abrüstung umsetzt und an den Verhandlungstisch zurückkommt", sagte Yeom Soo Jung.
Krieg ist unwahrscheinlich
Nüchtern betrachtet ist es - zumindest noch - unwahrscheinlich, dass es zu einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel kommt. Trump bräuchte Wochen, wenn nicht Monate, um seine Streitkräfte zu mobilisieren und auf einen Einsatz vorzubereiten.
Das nordkoreanische Regime wiederum ist ebenfalls nicht lebensmüde. Einen militärischen Erstschlag gegen die USA oder die Verbündeten in Südkorea würde es nicht überstehen.