Sozialminister Alois Stöger lehnt Kürzungen der Mindestsicherung für Flüchtlinge als unmenschlich ab.
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Wien. Bis Ende des Jahres haben Bund und Länder Zeit, sich auf die lange geplante Reform der Mindestsicherung zu einigen - dann läuft die 15a-Vereinbarung aus. Niederösterreich und Oberösterreich drängen auf eine Deckelung der Mindestsicherung bei 1500 Euro, für AMS-Chef Johannes Kopf würde weniger Geld den Anreiz, Arbeit anzunehmen, erhöhen. Sozialminister Alois Stöger über das, aus seiner Sicht, "Erfolgsmodell" Mindestsicherung, einen drohenden Verteilungskampf bei Sozialleistungen und die Perspektiven der Regierung unter Kanzler Christian Kern.
"Wiener Zeitung": Sie sind gegen eine Deckelung oder Kürzung der Mindestsicherung, weil Sie "Slums verhindern" möchten. Ist das nicht eine etwas drastische Wortwahl?
Alois Stöger: Bei der Mindestsicherung geht es unter anderem darum, Obdachlosigkeit in Österreich zu verhindern. Ich glaube, in dem Punkt mit 80 Prozent der Bevölkerung eins zu sein. Es gibt einen Hauptgrund, wieso ich gegen eine Deckelung der Mindestsicherung bin: Es trifft immer die Kinder. Und die haben keine Chance, mitzugestalten, wie hoch das Einkommen ihrer Eltern ist. Eine Deckelung wäre ein Grabdeckel für die Chancen der Kinder. Und ich sage bewusst Slums, weil es Städte in Europa gibt, in Belgien, in Frankreich zum Beispiel, wo sich die Polizei in gewisse Zonen nicht mehr hineintraut. Das kostet am Ende viel mehr, als den Menschen mit der Mindestsicherung die Chance zu geben, ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt zu bieten.
Kritische Stimmen argumentieren, dass durch das System Mindestsicherung zu wenig Anreize gegeben sind, wieder voll ins Erwerbsleben einzusteigen. Auch AMS-Chef Johannes Kopf meint, weniger Geld würde die Bereitschaft, Arbeit anzunehmen, erhöhen.
Wir können die Menschen nicht in Arbeitsplätze drängen, die es gar nicht gibt. Da sollte der Fokus eher darauf liegen, Arbeitsplätze zu schaffen, von denen die Menschen leben können. Die Mindestsicherung ist insgesamt ein Erfolgsmodell. Durch sie ist es uns gelungen, Menschen, die vorher am Rand der Gesellschaft waren, in die Mitte zu bekommen.
In Wien haben wir mehr als 50.000 Menschen aus einem schwierigen Umfeld wieder in Arbeit gebracht. Drei Viertel der Mindestsicherungsbezieher stocken damit ihr Einkommen auf, weil es zu niedrig ist. Nun reden wir über einige Familien, die viele Kinder haben. Und ja, natürlich gibt es die auch und wir brauchen hier eine Lösung. Sehr viel mehr Menschen aber haben überhaupt keine Arbeit. Über die wird viel zu wenig geredet. Über Kürzungen reden vor allem jene, die in ihrem Leben noch nie mit so wenig Geld auskommen mussten. Sozialpolitik braucht ein höheres Maß an Sachlichkeit. Nachschärfungen kann ich mir aber nicht nur vorstellen, sie sind auch geplant. Mehr Transparenz, eine Harmonisierung in den Ländern und ein Ausbau von Sachleistungen ist Teil des neuen 15a-Vorschlags, der bereits auf dem Tisch liegt. Jetzt müssen sich die Länder bewegen.
Vor allem in einkommensschwachen Schichten macht sich Unmut über Flüchtlinge als Mindestsicherungsbezieher breit. Diese würden Geld beziehen, obwohl sie noch nie hier gearbeitet und auch keine Beiträge geleistet haben, während viele, die arbeiten oder eine niedrige Pension beziehen, nur schwer über die Runden kommen. Haben Sie dafür kein Verständnis?
Erstens stimmt der Vergleich nicht. Jeder Mindestpensionsbezieher hat mehr Geld zur Verfügung als jemand in der Mindestsicherung. Man vergleicht immer Individual- und Familieneinkommen, das wird bewusst falsch dargestellt. Hier wird politisches Kleingeld gemacht. Jetzt vergleicht man die Bedingungen der Österreicher, die Mindestsicherung beziehen, mit der Herausforderung der Fluchtbewegung und benutzt das, um Forderungen nach einer Verschlechterung durchzusetzen. Da habe ich immer gesagt, nein, das ist nicht fair.
Die Fluchtbewegung darf nicht dazu führen, dass wir dann zwei Kategorien von Menschen haben. Es geht darum, allen Menschen, die in Österreich leben, ein Auskommen zu ermöglichen. Das widerspricht in keiner Weise dem Leistungsgedanken, hinter dem auch ich stehe.
In den Verhandlungen gibt es zwar durch Ihren Vorschlag, den Zuschlag für Kinder bei größeren Familien abzuflachen, eine gewisse Annäherung. Trotzdem hat man den Eindruck, dass nicht wenige in der ÖVP hart bleiben wollen. Ist die Debatte eine mögliche Bruchstelle in der Koalition?
Das glaube ich nicht. Aber man kann im Retourgang nicht Politik für die Zukunft machen. Das ist ganz sicher nicht im Interesse der Österreicher. Die durchschnittliche Verweildauer in der Mindestsicherung beträgt nur acht Monate. Deshalb lege ich Wert darauf, dass sie fortgeführt wird. Es gibt manche, die wollen den Sozialstaat abschaffen und behaupten, man könne so einsparen. Diesen Leuten ist nicht bewusst, welche Kosten das längerfristig verursachen würde. Da wollen sich ein paar wenige im politischen Populismus bedienen und zitieren Einzelfälle, um ein ganzes System schlechtzureden.
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Die Frage ist: Wie finanzieren wir den Sozialstaat? Kapital wird in Österreich mit höchstens 27,5 Prozent, Arbeit hingegen mit bis zu 50 Prozent besteuert. Da stimmt etwas nicht. Bei der Bankenabgabe haben wir diesen Gedanken schon umgesetzt, nämlich mit der Zweckwidmung für den Pflegefonds. Diesen Weg wollen wir weiter gehen.
Alois Stöger (56)
Der ehemalige Obmann der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse wurde 2008 von Werner Faymann zum Gesundheitsminister bestellt und wechselte 2014 ins Infrastrukturministerium. Das Sozialministerium ist sein drittes Ressort.