Hat der Islam Platz in Europa? Ein Interview mit dem Philosophieprofessor Owen Flanagan Jr.
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Wiener Zeitung": Gehört der Islam zu Europa?
Owen Flanagan Jr.: Wir leben in solch multikulturellen, kosmopolitischen Welten. Fast überall leben Menschen jeder spirituellen Tradition und Kultur. Muslime leben in Europa, ich sehe also keinen Grund dafür, warum der Islam nicht hierher gehören sollte.
Moral, Ethik, Gesetz - ist unser westliches Rechtssystem für Terroristen gewappnet?
Es gibt keine ethische Tradition, sei sie jüdisch, islamisch, konfuzianisch, buddhistisch, atheistisch oder agnostisch, die es befürwortet, Unschuldige zu töten. Das ist ein universeller Wert. Das westliche Recht folgt also allen moralischen Codes, wenn es verhindert, dass Unschuldige getötet werden. Ich bin aber davon überzeugt, dass das Gesetz nicht verhindern kann, dass Terroristen aktiv werden. Das Gesetz kann Menschen nicht von etwas abhalten, es kann Menschen für etwas bestrafen und es sollte Menschen hart bestrafen, die Terror ausführen oder diesen unterstützen.
Werden sich die Gesetze ändern?
Es wird möglicherweise härtere Strafen für terroristische Straftaten geben - aber ich weiß nicht, wie liberale Demokratien, die selbst wenn sie überaus vorsichtig an ihren Landesgrenzen vorgehen und genau schauen, wer bei ihnen hineindarf, sich davor schützen wollen. Manchmal sind die Terroristen ja im Land selbst aufgewachsen und haben sich dort radikalisiert. Sie sind von gewaltverherrlichenden Ideologien inspiriert oder unter schrecklichen sozialen Bedingungen in furchtbaren Familien aufgewachsen. Es sind einfach auch viel zu viele, um sie zu kontrollieren.
In Ihrer Arbeit plädieren Sie für eine Naturalisierung der Moral. Was bedeutet das?
Eine große Minderheit glaubt nicht an Gott und ist nicht religiös. Vor allem im Norden Europas etwa, hier gibt es weniger Religionszugehörigkeiten. Aber richtig, die meisten Menschen weltweit haben eine Religion als moralische Basis. Aber auch aus meinen Studien geht hervor, dass es bestimmte Universalien gibt in fast allen Traditionen, wie etwa: Töte niemals Unschuldige. Im Christentum heißt es: Du sollst nicht töten. So gut wie niemand glaubt aber, außer hundertprozentige Pazifisten, dass man niemals, unter keinen Umständen jemanden töten darf. Viele Leute denken da an die Möglichkeit von Krieg oder wirklich böse Menschen, wie etwa Hitler, die man aufhalten könnte, indem man Gewalt anwendet. Die radikal islamistischen Terroristen oder die Neonazis, wie man sie aktuell in den USA gesehen hat, haben meist einen religiösen Glauben. Das ist aber ganz sicher nicht der Glaube, der von den Anführern der Religionen vertreten wird.
Haben die sogenannten Führer der Weltreligionen ihre Autorität verloren?
Wir hatten zuletzt mit verschiedenen religiösen Würdenträgern ein Treffen im Vatikan zum Thema "Frieden". Das war interessant, es gab eine Diskussion unter den christlichen, muslimischen, jüdischen und buddhistischen Führern und alle haben gesagt: Unsere Religion ist kategorisch gegen Gewalt. Aber jeder von ihnen musste zugeben, dass es in der Geschichte ihrer Religion Momente gab, wo Gewalt angewendet wurde. Etwa die Kreuzzüge im Christentum. Oder aktuell unter den Buddhisten, wo es ein furchtbares Verhalten gegenüber Muslimen in Myanmar gibt. Oft betrifft es aber auch die Eigengruppe und Fremdgruppe, wie etwa der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten im Islam zeigt.
Zur Person
Owen
Flanagan
unterrichtet Philosophie an der Duke University in den USA und hält in Alpbach ein Seminar über ethisches Handeln.