Mikrokreditsparer erhalten Dividende. | Kreditnehmer zahlen Zinsen. | Wien/Jaipur/Mumbai. Kunal ist ein routinierter Fahrer. Geschickt lenkt der Mann seine Fahrrad-Rikscha durch die Straßen von Jaipur, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Rajasthan. Er weicht den vollbeladenen Pferdewägen aus, den Mopeds, und den Autos, die von hinten, rechts, links und manchmal von vorn kommen. Er weicht Kamelen aus, die plötzlich dastehen und Kühen, die sich langsam in Bewegung setzen. Kunal gibt nicht nur auf sich Acht: Hinter ihm sitzen zwei Fahrgäste, die sicher an ihr Ziel gebracht werden wollen. Und er gibt auf die Rikscha Acht. Seit kurzem gehört sie ihm: Ein Mikrokredit ermöglichte den Kauf. Damit muss er sie nun nicht länger täglich um viel Geld ausleihen.
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Mittlerweile vergeben weltweit hunderte Institute und Institutionen sogenannte Mikrokredite: Beträge, die verhältnismäßig gering sind - umgerechnet können das beispielsweise 50 Euro sein - an Menschen, die in einer Bankfiliale üblicherweise keinen Kredit erhalten. Ein wesentlicher Punkt dabei ist die Höhe der Zinsen: Diese orientiert sich am landesüblichen Niveau und ist damit bedeutend niedriger als bei unseriösen Geldverleihern. "In dem Moment, in dem ein Kreditnehmer anderswo bessere Konditionen bekommen könnte, sind wir nicht mehr notwendig. Wir geben denen Geld, die andernfalls keinen Zugriff darauf haben", sagt Gerhard Novy, ehemaliger Vorstand der Bank Austria Creditanstalt und jetziger Vorstand von Oikocredit Austria sowie Vizepräsident von Oikocredit International - einer kooperativen Genossenschaft, die das Ziel verfolgt, Kredite für "Entwicklungsförderung" zu vergeben.
"Zum Weltspartag schenken wir Sparern keine Schokolade und keinen Kugelschreiber - wir appellieren an sie mit dem Argument des zweifachen Gewinns: Beide Seiten haben etwas davon - der Investor und der Kreditnehmer", sagt Novy. Wie bei einem Sparbuch gebe es auch hier eine Dividende. Mit maximal 2 Prozent sei diese in den Jahren 2000 bis 2004 über den Durchschnittszinserträgen der Sparbücher gelegen. "Wir wenden uns absichtlich nicht an große Investoren - denn wenn diese nach einem halben Jahr das Geld zurück haben wollen, was ihr Recht ist, könnte es schwierig sein, diese größeren Beträge aufzutreiben", erläutert Novy.
Fachleute vor Ort
Zur Zeit finanziert Oikocredit 600 Projekte, wobei darunter ein Kontrakt mit einer Mikrofinanzinstitution verstanden wird: Diese stellen Kredite für jene bereit, die darum ansuchen, etwa eine Mexikanerin, die Geld für einen Tortilla-Ofen braucht oder ein Rikschafahrer in Indien, der sein Fahrzeug erwerben möchte. "Man braucht lokal ansässige Personen, die den direkten Kontakt zu den Menschen und damit den Kreditnehmern haben", sagt Novy. Oikocredit vergibt an die Mikrofinanzinstitutionen einen bestimmten Betrag, etwa 300 bis 500.000 Euro, der innerhalb eines vereinbarten Zeitraums zurückbezahlt werden muss. Für den Fall, dass es doch einmal größere Ausfälle geben sollte, hat Oikocredit vorgesorgt. Die Kreditnehmer selbst können ja keine Sicherstellung bieten. Ein Polster wird einbehalten, Oikocredit vergibt also niemals alles Geld. Fast alle Kredite würden aber zurückgezahlt, auch weil viele einen weiteren bekommen wollen.
"Wir wissen um Probleme, die geschehen können. Man braucht deshalb Fachleute vor Ort, die Projekte beurteilen", sagt Novy. Denn das System von Mikrokrediten greift in die Wirtschaftswelt ein. Die Vergabe kann dazu führen, dass Strukturen aufgebrochen und verändert werden - etwa, wenn sich Bauern von der Landwirtschaft abwenden und ihr Glück in einem anderen Wirtschaftszweig versuchen.
Mikrofinanzinstitutionen müssen sich auch mit Situationen wie folgender auseinander setzen: Eine Frau näht in Heimarbeit für einen Textilkonzern T-Shirts. Normalerweise würde sie sich keine neue Nähmaschine leisten. Doch der Druck, eine größere Menge zu einem günstigeren Preis zu nähen, steigt. Also nimmt sie einen Kredit auf, um mit Billigkonkurrenz Schritt halten zu können.
Indirekte Investoren
Von dem Mikrokredit-System profitieren mittlerweile auch Banken: Laut einer Studie der Weltbank hat die ICICI Bank, größte Privatbank und zweitgrößtes Geldinstitut Indiens mit Sitz in Mumbai, durch die Partnerschaft mit Mikrofinanzinstitutionen in den vergangenen drei Jahren 1,2 Millionen neue Kunden gewonnen. Die ICICI-Bank ist etwa im Portfolio des Indien-Fonds der Raiffeisen Capital Management enthalten. Wer in Österreich in diesen oder einen ähnlichen Fonds investiert, kann damit indirekt also auch Mikrokreditanleger sein. Novy: "Bei uns gibt es aber kein Wechselkursrisiko und keine Depotgebühren."
www.oikocreditaustria.at