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Keine Schule mehr - was jetzt?

Von Stefan Beig

Politik
Die Schule als Theaterbühne: Schüler zeigen, warum die Schule doch wichtig ist.

"It’s my Life - Çaba, die Chance" wird sogar im Burgtheater zu sehen sein.


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Wien. Eine Schule wird geschlossen. Die Jugendlichen staunen nicht schlecht, als sie das Gebäude leer vorfinden und nur die Hausmeisterin ihre übliche Runde macht. Einem Aushang der Direktion entnehmen sie den Grund für die Schließung: Wegen des hohen Migrantenanteils und des niedrigen Bildungsniveaus werde die Schule nicht mehr als förderungswürdig eingestuft.

Bei einigen Schülern bricht Partystimmung aus. Eine eifrige Schülerin erzählt ihrer geschiedenen, alleinerziehenden Mutter bestürzt von dem Vorfall, doch die hat keine Zeit für sie und ist selbst mit Arbeit und Mietkosten überfordert. Nach und nach dämmert allen Jugendlichen, dass sie die Schule doch brauchen. Als sie von einer Gesamtschule im ersten Bezirk erfahren, die angeblich neue Schüler sucht, beginnt unter ihnen ein Konkurrenzkampf um Schulplätze.

Das satirische Sozialdrama "It’s my Life - Çaba, die Chance" ist eine der Überraschungen unter den vielen Veranstaltungen der Wiener Integrationswoche. Am Mittwoch feierte es seine Premiere in Dschungel Wien und am 23. Juni wird es auch im Burgtheater zu sehen sein. Es ist eine Exkursion in die Lebenswelt jugendlicher Migranten. Wie sie ihr Dasein hier in Wien erleben - in der Schule, unter Freunden und zu Hause -, das kann man in kurzweiligen, humorvollen, teils auch tragischen Szenen erfahren, die durch schmissige Tanz- und Musikeinlagen unterbrochen werden.

Blick von innen

Manche Konflikte wirken in ihrer Darstellung stark zugespitzt, doch die Perspektive ist so authentisch wie möglich: Es sind die Jugendlichen selbst, die dieses Stück geschrieben haben und aufführen. Auf der Bühne schlüpfen sie in die Rollen, die sie in ihrem wirklichen Leben spielen. Stück und Schauspiel sind gleichermaßen beeindruckend. Dabei stehen alle - mit Ausnahme eines Schülers aus Hollabrunn, der vor kurzem eingesprungen ist - zum ersten Mal auf der Bühne. So können sie erstmals ihr künstlerisches Können unter Beweis stellen. Entstanden ist das Projekt aus einer Kooperation zwischen der interkulturellen Autorentheaterinitiative Wiener Wortstätten und der BFI-Schule in der Margaretenstraße, deren Schüler auch daran teilgenommen haben. Verwirklicht wurde es unter der Leitung der Regisseurin Sandra Selimovic und der Autorin Ursula Knoll. Aus spontanen Improvisationen der Schüler zu bestimmten Themen, wie der Begegnung mit Diskriminierung im Alltag, entstanden Szenen, die schließlich zum Stück zusammengeführt wurden. Die Schülern hatten so die Möglichkeit, ihre Träume und Ängste selbst zu reflektieren.

Dass man auf die Schule doch nicht ganz verzichten kann, ist eine der Aussagen des Stücks. "Bildung und Schule sind sehr wichtig, obwohl wir es ungern zugeben. Aber das ist unsere Zukunft", sagt Yonca Varol, die als Hausmeisterin im Stück auftritt. Auch das Thema Rassismus ist im Stück präsent. "Wir zeigen, wie wir uns in der Außenwelt erleben", meint Sherin Serifoska. Sie ist in Wien geboren, ihre Eltern kommen aus Mazedonien. Und die iranisch-stämmige Nazanin Beykzadeh hält fest: "Es ist ein gemischtes Gefühl als Migrant. Viele haben Vorurteile gegen Migranten. Es gibt überall gute und schlechte Menschen." Bei Migranten würden negative Stereotype dominieren. "Sie glauben, dass alle so sind. . ."

Beispiele für Alltagsrassismus gebe es genug. "Als wir gestern in der U-Bahn waren, haben uns ein paar besoffene Mädchen beschimpft", erzählt Nazanin Beykzadeh. "Eine Schauspielerin von uns trägt ein Kopftuch. Die haben gesagt: Schleicht Euch zurück in die Türkei. Mich hat sehr gestört, dass sich niemand eingemischt hat." Sherin Serifoska erzählt, wie man im Supermarkt beschimpft wird, weil man in der Muttersprache redet. "Man merkt nicht, wie präsent der Rassismus ist", erzählt Björn Puhr. "Wir wollen das nicht schönreden." Nazanin Beykzadeh betont: "Wir wollten zeigen, wie es ist, wie man sich fühlt und ich hoffe, dass das Publikum davon lernt. Wenn man einen Menschen nicht kennt, kann man nichts über ihn sagen." Doch die Diskriminierung ist nicht die einzige Belastung, von der die Jugendlichen erzählen: Sie erwähnen auch die fehlende Gleichberechtigung der Frau daheim bei den Familien. Weil das Thema Familie für sie wichtig ist, haben sie daher von sich aus neue Familien-Szenen in das Stück eingebaut.

Alle wollen später maturieren, einen Job finden und studieren. Und: "Wir wollen nicht so sein wie die Eltern. Sie haben nicht die Bildungsmöglichkeiten gehabt wie wir." Ihre Zukunft sehen sie in Österreich: "Hier ist meine Heimat", meint Beykzadeh. "Nach drei Wochen will ich zurück nach Österreich. Auch in meinem Herkunftsland werde ich als Ausländer bezeichnet", erzählt Serifoska.

Das Projekt war eine große Herausforderung. Von der Chance von Kunst und Medien sind die Jugendlichen überzeugt. "Hier hat man mehr Freiheit, als in der Politik", meint Björn Puhr.