Ja zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der EU im Sinne des Investitionsschutzes, Nein zu Sonderklagerechten für Investoren.
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Die Europäische Kommission plant, im Herbst einen Vorschlag "zur Präzisierung und Ergänzung der EU-Vorschriften zu grenzüberschreitenden Investitionen innerhalb der EU" vorzulegen. Darauf haben Wirtschaftslobbyisten lange und beharrlich hingearbeitet.
Investitionsabkommen zum Schutz von Investitionen im Ausland werden seit den späten 1950ern zwischen einzelnen Staaten abgeschlossen. Das erste Abkommen dieser Art kam 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan zustande. Hauptzweck dieser Abkommen ist es, die Kapitalanlagen investierender Unternehmen im Gastland zu schützen. Der Hintergrund: Solche Abkommen gab es vorwiegend zwischen Industriestaaten und "Entwicklungsländern". Das Vertrauen in die Rechtssicherheit von Staaten, die gerade erst ihre Unabhängigkeit gewonnen hatten, war gering, und westliche Konzerne wollten sich dahingehend absichern.
Mittlerweile empirisch belegt, dass leere Versprechen
Um den Ländern des Globalen Südens solche Abkommen schmackhaft zu machen, wurden seitens der Konzerne immer die gleichen Argumente bemüht: Die Investitionen, die dadurch ins Land geholt würden, die neue Arbeitsplätze bringen und die Erschließung der im Land vorhandenen Ressourcen fördern würden. Aber mittlerweile ist sogar empirisch belegt, dass es sich dabei um leere Versprechen handelt. Für die Entscheidung, ob in einem bestimmten Land investiert wird oder nicht, sind ganz andere Kriterien ausschlaggebend, etwa die Höhe der Produktionskosten, Steuervorteile oder die Erschließung neuer Märkte.
Durch Schiedsklauseln mit sogenannten Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen wird es Unternehmen in Investitionsschutzabkommen ermöglicht, Staaten direkt zu klagen. Derartige Bestimmungen erlauben es Investoren in der Praxis, Staaten zu verklagen, wenn diese etwa strengere Umweltgesetze oder arbeitsrechtliche Regelungen einführen, die höhere Kosten für Unternehmen bedeuten würden. Jüngstes Beispiel dafür sind die Niederlande, die gleich zwei Mal vor ein Schiedsgericht gebracht wurden, weil sie den Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 durchsetzen wollen.
Bilaterale Abkommen innerhalb der EU waren zu beenden
Nach dem Zerfall der Sowjetunion in den 1990ern nahm die Anzahl der Investitionsabkommen sprunghaft zu - sie wurden zwischen Mitgliedstaaten der EU und ehemaligen Ländern der Sowjetunion abgeschlossen. In der Zwischenzeit sind viele dieser Länder der EU beigetreten, aber die die Investitionsschutzabkommen blieben - vorerst.
Im März 2018 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein bahnbrechendes Urteil: In der Rechtssache Achmea erklärte der EuGH, dass die bestehenden bilateralen Abkommen innerhalb der EU zu beenden sind, weil sie gegen Unionsrecht verstoßen. Damit stellte der Gerichtshof klar, dass es sich bei diesen Schiedsverfahren um eine Art Paralleljustiz handelt. Dieses Parallelsystem ermöglichte es Investoren, die nationale Gerichtsbarkeit zu umgehen. Nachträgliche Kontrollen durch den EuGH waren nicht möglich, denn die Entscheidungen der Schiedsgerichte sind bindend und Beschwerdemöglichkeiten nicht vorgesehen.
Die Europäische Kommission, die schon lange auf ein Ende der Investitionsschutzabkommen gedrängt hatte, steht allerdings auf dem Standpunkt, dass das Unionsrecht sowie die Grundrechte-Charta ausreichend Schutz für alle Unionsbürger und -innen und damit auch für Investoren bieten.
Konzernen und Unternehmensverbänden ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge: Sie fordern - unterstützt durch die österreichische Wirtschaftsministerin - mit größter Vehemenz erneute Sonderprivilegien für Investoren, argumentieren mit fehlendem Rechtsschutz und drohen mit Abwanderung. Und dieses Lobbying zeigt Erfolg: Die Kommission setzt sich jetzt wieder mit der Frage auseinander und wird im Herbst einen Vorschlag machen. Wie weitreichend dieser sein wird, ist noch unklar.
Mit dem Achmea-Urteil wurde die Paralleljustiz für Investoren in der EU teilweise abgeschafft. Auf Grundlage des multilateralen Energiecharta-Vertrags werden jedoch weiterhin Klagen europäischer Investoren gegen EU-Mitgliedstaaten anhängig gemacht. Der EuGH wurde diesbezüglich ebenfalls bereits angerufen, eine Entscheidung ist jedoch noch ausständig. Das Achmea-Urteil erfolgte vollkommen zu Recht, denn die einst vorgebrachten Gründe für den Abschluss solcher Abkommen sind völlig fehl am Platz. Artikel 2 des Vertrags über die EU nennt die Rechtsstaatlichkeit als einen der grundlegenden Werte, auf die sich die Union gründet. Unabhängig und fair agierende Justizbehörden sind Stützpfeiler, auf denen die EU aufbaut.
Auf eine funktionierende EU-Gerichtsbarkeit angewiesen
Wir alle, egal ob normale Bürgerin oder Unternehmer, sind auf eine funktionierende EU-Gerichtsbarkeit angewiesen. Sonderrechte für eine privilegierte Wirtschaftselite einzuführen, wären ein verheerendes Signal. Stattdessen sollte alles getan werden, um ein Rechtssystem zu etablieren, das die Gleichbehandlung aller garantiert.
Dass dies gegenwärtig nicht der Fall ist, zeigt ein Blick ins EU-Justizbarometer 2020: Menschen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze werden beim Rechtszugang stark benachteiligt. Vergleichsweise hohe Gerichtsgebühren bei geringen Streitwerten sowie fehlende Prozesskostenhilfe führen dazu, dass finanziell benachteiligte Menschen in manchen Mitgliedsstaaten de facto keinen Zugang zu fairen Gerichtsverfahren haben. Hier wäre der volle Einsatz der EU gefragt -Regelungen, die Konzerne mit möglichst üppigen Sonderrechten ausstatten, sind hingegen der falsche Weg.
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