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"Keine Teilung, keine Partnerschaft"

Von WZ-Korrespondent Andreas Schneitter

Politik

Die Ausschreitungen auf dem Tempelberg in Jerusalem haben zugenommen. Es droht Ausbruch einer neuen Intifada.


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Jerusalem. Zehntausende haben sich am Mittwoch zum Segnungstag an die Klagemauer zu Füßen des Jerusalemer Tempelberg gewagt. Der Ausgang des jüdischen Laubhüttenfestes wurde gefeiert und wie an anderen jüdischen Feiertagen schwollen auch gestern die Massen an Gläubigen am heiligsten Ort des Judentums deutlich an. Ihnen zur Seite standen tausende Polizisten und Soldaten - sie riegelten die Altstadt von Jerusalem, zum wiederholten Male in den vergangenen zwei Wochen, zu einer Festung ab. Zuletzt wurden am Dienstag mehrere palästinensische Jugendliche auf dem Tempelberg verhaftet, die Steine gegen Besucher auf dem Plateau geworfen haben sollen.    

Der Ort, auf dem einst der jüdische Tempel stand und der seit dem 7. Jahrhundert von der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom gekrönt wird, wird an Werktagen in den Morgenstunden auch von Nichtmuslimen besucht - meistens ausländische Touristen, in der Vergangenheit zunehmend jedoch auch jüdische Israelis. Vor allem gegen sie richtet sich der Zorn der Palästinenser: Die Mehrheit der jüdischen Besucher gehören der nationalreligiösen Siedlerbewegung an oder sympathisieren zumindest mit ihr. Sie ignorieren das von der jüdischen Ultraorthodoxie noch immer verfochtene Verbot, das heilige Areal zu betreten, und betrachten den Gang auf den Berg als ihr religiöses Recht. Noch sind es Splittergruppen wie das umstrittene "Tempelinstitut", die sich darüber hinaus öffentlich für den Wiederaufbau des jüdischen Tempels einsetzen, aber sie erhalten Resonanz: Am jüdischen Neujahrsfest Mitte September, als die Polizei hunderte gläubige Juden auf den Berg eskortierte und dafür den Zugang für Muslime einige Stunden schloss, war auch Uri Ariel darunter, Landwirtschaftsminister im Kabinett von Regierungschef Netanjahu - und ein rotes Tuch für die Palästinenser. Ariel wohnt selbst in einer jüdischen Siedlung im Westjordanland und schwärmte öffentlich (und öffentlichkeitswirksam) von der Neuerrichtung des Tempels. Videoaufnahmen zeigen, wie Ariel während seines jüngsten Besuchs auf dem Berg ein kurzes Gebet sprach - etwas, was die Polizei üblicherweise jeweils sofort unterbindet.

Steinewerfen als Terrorakt

Es sind solche symbolstarke Gesten, durch die sich die Radikalisierung der Muslime auf dem Tempelberg zusätzlich entfacht. Palästinensische Politiker argwöhnen, dass Israel die Verhältnisse auf dem Tempelberg, der komplett unter muslimischer Verwaltung ist, ändern wolle. Zur Verschärfung tragen beide Seiten bei: Die Islamische Bewegung im Norden Israels bezahlte während Monaten eine Gruppe von meist älteren muslimischen Frauen. Diese sollten vor den Moscheen auf dem Berg Präsenz zeigen und falls Polizisten oder jüdische Besucher auftauchen, diese mit lautstarken Rufen um Allahs Beistand einschüchtern. Als Reaktion darauf verbot das israelische Verteidigungsministerium kurz vor dem Neujahrsfest der Gruppe den Zugang zum Berg - wegen "Hetze und Aufruf zur Gewalt". Mit strengeren Sanktionen versucht auch das israelische Parlament, für Abschreckung zu sorgen: Vor wenigen Tagen verabschiedete die Knesset ein provisorisches Gesetz, das Steinewerfen als einen terroristischen Akt ahndet, der mit vier Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Danach war die Reihe wieder an den Muslimen. Am Wochenende rief der "Hohe Arabische Begleitausschuss", eine Dachorganisation der israelischen Araber, zu der Geistliche, Bürgermeister arabischer Städte und Dörfer in Israel und arabische Abgeordnete in der Knesset gehören, übers Wochenende die muslimische Bevölkerung auf, die Al-Aksa-Moschee zu "verteidigen". Hunderte kamen, die jüngsten Zusammenstöße waren die Folge.

Dass sich ausgerechnet während der religiösen Feiertage der Konflikt um den Tempelberg wieder entzündet, ist kein Zufall. Bis auf den innersten Stein ist der Berg beiden Religionen heilig, und die radikalen Stimmen beider Seiten, die in Tagen des Aufruhrs am lautesten gehört werden, beharren auf ihren Maximalpositionen. Regierungschef Netanjahu hat mehrmals betont, am seit 1967 geltenden Status quo auf dem Areal nicht rütteln zu wollen, der die Verantwortung für die Sicherheit nach der Eroberung der Altstadt zwar in Israels Hände übergab, die Verwaltung jedoch einer palästinensisch-muslimischen Stiftung unter Schirmherrschaft des jordanischen Königshauses überlässt.

Der Status quo - er bestimmt den erregten Diskurs dieser Tage. Der jordanische König Abdullah II. bekräftigte ausdrücklich, Al-Aksa gehöre "einzig den Muslimen, ohne Teilung, ohne Partnerschaft". Und meinte damit nicht nur die gleichnamige Moschee, sondern das ganze Areal. Er weigerte sich auch, einen Anruf von Netanjahu entgegenzunehmen, um den Eindruck zu vermeiden, der repräsentative Herr über den Berg spreche sich mit dem israelischen Regierungschef über die Zukunft des Areals ab.

Gefährliches Terrain

So starr, wie es die Politiker darstellen, ist der Status quo auf dem Berg nicht. Bis zum Ausbruch der Zweiten Intifada im Jahr 2000 war nicht nur der Tempelberg, sondern auch Felsendom und Al-Aksa-Moschee für die Touristen offen. Auch wenn sie Juden waren. Danach wurden Nichtmuslime für knapp fünf Jahre komplett ausgesperrt - bis 2008 die noch heute geltende Regelung eingeführt wurde. Dass die Funken, die an diesem Ort geschlagen werden, besonders schnell zu Bränden führen, hat die Geschichte seit 1967 gezeigt. Vor 15 Jahren, am 29. September 2000, marschierte der damalige Oppositionsführer Ariel Sharon, begleitet vom heutigen Staatspräsidenten Reuven Rivlin und einem umfassenden Polizeischutz auf den Berg, um den Anspruch der israelischen Souveränität auf das Areal zu untermauern. Tags darauf brach die Zweite Intifada aus, und der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern ging endgültig in Rauch auf.