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"Keine Trennlinie mehr zwischen Partei und Staat"

Von Martyna Czarnowska aus Belgrad

Politik

Am Sonntag wählen die Serben den Präsidenten und das Parlament. Das Ergebnis ist schon jetzt absehbar - dafür hat Staatschef Vucic gesorgt.


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Eine abweisende Handbewegung, ein spöttisches Lächeln, wortloses Weitergehen. Wer auf dem Markt gleich neben der herausgeputzten Skadarska-Straße im Zentrum Belgrads Aussagen zu den bevorstehenden Wahlen in Serbien einfangen möchte, hat es nicht leicht. Die Menschen schlendern an diesem warmen Frühlingstag zwischen den Ständen, plaudern mit den Verkäuferinnen, kaufen Obst und Gemüse - aber auf das Votum angesprochen, hasten die meisten fort. Nur wenige sind zu einem kurzen Kommentar bereit.

Wie der Pensionist, der Präsident Aleksandar Vucic für den Besten für das Land hält, unter anderem, weil der Staatschef Autobahnen bauen lasse. Oder die junge Frau, der Wahlen wichtig sind, weil Änderungen in der Politik nötig wären - auch wenn unklar sei, wie realistisch das wäre. Eine andere Passantin zeigt sich da pessimistisch: "Es bleibt ja doch immer das Gleiche." Eine weitere Marktgängerin hat ihre Schlüsse schon vor längerem gezogen: Sie habe seit 32 Jahren nicht gewählt - und wüsste nicht einmal, wem sie nun ihre Stimme geben sollte.

Am Sonntag finden in Serbien Präsidentschafts-, Parlaments- und teilweise - etwa in Belgrad - Lokalwahlen statt. Umbrüche sind jedoch nicht zu erwarten. Vucic, seit fast zehn Jahren als Premier und Präsident an der Macht, strebt eine weitere Amtszeit als Staatschef an und könnte seine sieben Herausforderer schon im ersten Wahlgang schlagen. Seine Serbische Fortschrittspartei (SNS), die im Abgeordnetenhaus 159 der 250 Mandate hält, braucht ebenfalls kaum Konkurrenz zu fürchten: Von den 18 antretenden Gruppierungen werden nur einige die Drei-Prozent-Hürde für den Einzug in die Volksvertretung schaffen.

Opposition ohne Sendezeit

Ihre Hoffnungen legt die Opposition daher auf Belgrad. Dort will sie mit vereinten Kräften einen Wechsel schaffen und als Bündnis mehr Unterstützung erlangen als die SNS. Wer das Amt des Bürgermeisters übernehmen könnte, ist allerdings offen. Ein schwacher Trost ist außerdem, dass nun wieder oppositionelle Parteien im Parlament vertreten sein werden, nachdem sie den vorangegangenen Urnengang wegen unfairer Wahlbedingungen boykottiert hatten.

Ihre Situation hat sich in der Zwischenzeit freilich nicht verbessert. Zwar sind auf den riesigen Plakaten, die über die gesamte Hauptstadt verteilt sind, auch Kandidaten der Opposition zu sehen. Doch den Ton in Politik und Medien, von denen die meisten unter Regierungskontrolle sind, geben seit Jahren die Machthaber an - allen voran Vucic, dem breiter Raum selbst für Ankündigungen und Entscheidungen eingeräumt wird, die in die Befugnisse der Regierung fallen würden.

Nach Berechnungen der Nichtregierungsorganisation CRTA, die sich unter anderem der Wahlbeobachtung widmet, hatte der Staatschef im Vorjahr 356 Auftritte im öffentlichen Fernsehen, das in Serbien noch immer als eine Hauptinformationsquelle gilt. Und allein im Dezember habe es 70 Live-Übertragungen von Vucics Aktivitäten gegeben. Verschwindend gering ist hingegen die Sendezeit, die oppositionelle Politiker erhalten.

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Der Präsident dominiert auch die Themensetzung - und dabei werden "nationale Interessen" des Landes mit seinen knapp sieben Millionen Einwohnern in den Vordergrund gerückt. Als solche werden sowohl Tiraden gegen den benachbarten Kosovo gesehen, dessen Unabhängigkeit Serbien nicht anerkennt, als auch das Nahverhältnis zu Russland. Die Sanktionen der EU, verhängt nach der russischen Invasion auf die Ukraine, trägt der EU-Beitrittskandidat nicht mit. Boulevardzeitungen hetzen gegen die Nato und schreiben von "tausenden deutschen Nazis", die aufseiten der Ukraine kämpfen. Auf einer Hausmauer in Belgrad ist vor kurzem eine Wandmalerei mit dem Bildnis des russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgetaucht, vor dem Hintergrund der serbischen Fahne und mit der Beschriftung: "Bruder". Nicht weit davon entfernt prangt ein Konterfei des Ex-Generals Ratko Mladic, eines verurteilten Kriegsverbrechers.

Druck auf Wähler

Zu der nationalistischen Propaganda und kontrollierten Medienberichterstattung kommen Klientelismus und Druck auf Wähler hinzu, wie zahlreiche Vertreter der Zivilgesellschaft konstatieren. Wahlen würden nicht am Wahltag gefälscht - und eine Entscheidung falle auch nicht an dem Tag, sondern davor, betonen sie daher.

Die regierende SNS hat hunderttausende Parteimitglieder, und von ihr hängen auch etliche Jobs ab, nicht nur in der öffentlichen Verwaltung. Kontrollinstanzen wurden untergraben. "Es gibt keine Trennlinie mehr zwischen Partei und Staat", sagt Rasa Nedeljkov von CRTA.

Doch gibt es auch andere Abhängigkeiten. So können zum Beispiel Wähler aus vulnerablen Gruppen unter Druck gesetzt werden, erklärt Nedeljkov. Seiner Organisation liegen Berichte vor, wonach Sozialhilfeempfängern gedroht wurde, dass ihnen die Unterstützung entzogen würde, und Roma-Familien sogar damit, dass ihnen die Kinder weggenommen würden. Umgekehrt könne aber auch ein kleiner finanzieller Beitrag ein Anreiz sein, an der Urne die von der Partei gewünschte Liste anzukreuzen.

Hoffnung auf Belgrad

Das Oppositionsbündnis, das dieses System durchbrechen möchte, nennt sich "Moramo" ("Wir müssen") und vereint ein breites politisches Spektrum. Teil davon sind die Grünen, die sich aus einer Bürgerbewegung entwickelt haben. Vor einigen Jahren schon protestierten Aktivisten gegen die Zerstörung eines Belgrader Viertels; im Vorjahr gab es landesweite Demonstrationen gegen die Errichtung eines Lithium-Bergwerks in der Nähe der westserbischen Stadt Loznica.

Umweltschutz, Luftqualität, Energiewende: Es seien Themen, die die Menschen bewegen in einem Land, das von Kohle und russischem Gas abhängig sei und in einer Hauptstadt, in der Abwasser ungefiltert in die Sava und Donau fließe, erzählt der Grünen-Kandidat Dobrica Veselinovic. Er ortet wachsenden Unmut über Privatisierungen und Investitionsprojekte, die mit massiven Eingriffen in die Umwelt verbunden sind: "Die Menschen haben das Gefühl, dass ihnen auch noch das letzte genommen wird, das ihnen gehört: die Natur", meint Veselinovic. Und er glaubt, dass Bürger über diesen Unmut mobilisiert werden können, eine Alternative zur Regierung zu wählen. "Wir wollen auch die politische Kultur verändern", fügt er hinzu.

Zumindest für Belgrad scheint dies nicht völlig unrealistisch. Eine Koalition könnte die bisher dominierende Partei ablösen. Diese heißt auch im Stadtrat SNS.