ORF: "Migrationshintergrund kein Ausschlussgrund für eine Redaktion."
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Wien. Im ORF hat "der Migrant" vor allem ein Gesicht. Es ist jenes von Lakis Jordanopoulos: stämmig, markanter Schnauzer, südländischer Akzent. Seit mehr als zwei Jahrzehnten präsentiert der gebürtige Grieche die Ethno-Sendung "Heimat, fremde Heimat", in der er über das Leben von Migranten in Österreich berichtet.
Ende der 1980er Jahre gegründet, war die Redaktion jahrzehntelang sozusagen das Ghetto am Küniglberg. ORF-Journalisten mit Migrationshintergrund waren hauptsächlich nur in dieser Ecke sichtbar. Nicht selten machte die Bezeichnung "Tschuschenredaktion" hausintern die Runde.
Seit ein paar Jahren heftet sich der ORF nun das Thema Integration auf seine Flagge. Im März gab es etwa einen in diesem Umfang noch nie dargebrachten Schwerpunkt mit dem Titel "Wir sind Österreich". In rund 70 Programmpunkten zeigte man, "dass das Leben Integration ist" und dass das Zusammenleben verschiedener Kulturen selbstverständlich sei, sagt Fernsehdirektorin Kathrin Zechner.
Doch inwieweit ist Integration für den ORF selbstverständlich, wenn es um seine eigenen Mitarbeiter geht? Obwohl es wenige Beispiele gibt, hat man bis heute das Gefühl, dass es nur wenige Migranten schaffen, einen Platz außerhalb der "Minderheitenredaktion" zu bekommen.
Hinter vorgehaltener Hand sprechen manche im ORF davon, dass man es Herrn und Frau Österreicher nicht zumuten kann, eine türkische Nachrichtensprecherin das Weltgeschehen präsentieren zu lassen. "Es gibt viele Zuseher, die sich bedroht fühlen, wenn sie Migranten im ORF sehen", sagt Jordanopoulos.
Auch er wurde anfangs als Exot betrachtet. In einer anderen Redaktion als "Heimat, fremde Heimat" hätte man ihn nicht genommen. "Wie ich 1991 angefangen habe, wäre es unvorstellbar gewesen, einen Migranten beim Report oder in der Kultur zu haben", erinnert sich Jordanopoulos. Doch einiges hat sich mittlerweile geändert, vor allem für seine jüngeren Kollegen. Ist er das alte Gesicht des Migranten, so stellt Münire Inam die neue Generation dar. Die junge Journalistin türkischer Herkunft hat ebenfalls bei "Heimat fremde Heimat" angefangen und ist eine der wenigen, die es hinaus geschafft hat. Sie arbeitet heute beim "Report". Als Frau und Migrantin musste sie ihr journalistisches Können erst recht beweisen, um ernst genommen zu werden, erzählt Inam.
Journalistin statt Aktivistin
Das Thema Migration sei ihr am Anfang ihrer Karriere zugeflogen. Das erste Mal besuchte sie etwa einen türkischen Verein, als sie einen Bericht für "Heimat, fremde Heimat" machte. Ein türkischer Name und ein paar türkische Freunde würden eben nicht reichen, um automatisch Integrationsexperte zu sein, betont Inam. Für viele Migranten sei es trotzdem schwierig, nicht in dieses Eck gedrängt zu werden. Viele hätten zudem keine Lust, sich dem Thema zu widmen. Sie selber hat aber keine Berührungsängste. Migrantengeschichten, würde sie heute gerne machen, auch weil es nicht mehr bloß Migrantengeschichten wären. Mit ihrem türkischen Migrationshintergrund sei sie aber keine Aktivistin, sondern Journalistin, betont sie.
Für Klaus Unterberger steht fest: "Wir wollen kein Ghetto für Migranten im Haus." Der Leiter des für die Qualitätssicherung zuständigen ORF-Public-Value-Kompentenzzentrums streicht hervor, dass ein Migrationshintergrund kein Ausschlussgrund für eine Redaktion sei. Wichtig sei die Professionalität des Journalisten, dann sei es egal, woher dieser komme. Neben Münire Inam verweist er auf die "Afro-Österreicherin" Claudia Unterweger, die seit 2011 als erste Nachrichtenmoderatorin mit Migrationshintergrund den ZiB-Flash moderiert. Damit endet aber auch schon die Liste. Das Thema Migration sei eine Herausforderung für den ORF, beteuert Unterberger. Der seit 2005 geltende Aufnahmestopp, egal ob Migrant oder nicht, mache die Sache nicht leichter.
Migranten als Kriminelle
Daher setzt man auf Unterhaltung: In zahlreichen Versuchen - durch Serien wie etwa "Tschuschenpower" oder "Copstories" - versucht man das Thema Integration im Hauptabendprogramm zu bewerben, bisher mit wenig Erfolg. "Tschuschenpower" scheiterte bereits nach kurzer Zeit, und ob "Copstories" - wo Migranten entweder als Opfer von rassistischer Gewalt oder als Kleinkriminelle präsentiert werden - das richtige Format ist, lässt sich bezweifeln.
"Nur guter Willen ist zu wenig", sagt Jordanopoulos, denn interkulturelle Kompetenz müsse auch gelernt werden. Es reiche nicht zu sagen, "ich habe nichts gegen Ausländer und habe Karl May gelesen", ist er sich sicher. Das Diversitätsmanagement des ORF solle daher handfester sein, wünscht sich das langjährige Aushängeschild für Integration. Weiters müssten Migranten auch Entscheidungsträger im ORF sein, sonst sei die Sache nur halb zu Ende gedacht.
Er blickt aber positiv in die Zukunft: Nachfolgende Generationen von Migranten werden es leichter haben, da diese akzentfrei deutsch sprechen und somit - nicht wie die erste Generation - die "Fremdheit" mit sich herumtragen würden.
Ob er seinen Job damals auch ohne seinen markanten Schnauzer bekommen hätte? Lakis Jordanopoulos lacht: "Ich trage ihn seit meinem achten Lebensjahr und ich habe ihn nicht wachsen lassen, damit ich dreißig Jahre später Mitglied der Minderheitenredaktion in einem anderen Land bin."